Es wird langweilig auf unseren Straßen: Künftig werden die Autofahrer:innen ihre Staus wieder selber fabrizieren müssen, was sie ja mit großer Begeisterung tun. Denn auf die Unterstützung von Klimakleber:innen müssen sie verzichten. Die Konstanzer Widerstandsgruppe der Letzten Generation stellt ihren Kampf ein. Warum?
Irgendwann, sagt Boris Messerschmidt, irgendwann müsse man innehalten, nachdenken, Bilanz ziehen und sich überlegen, wie es weitergehen soll. Das habe er in letzter Zeit getan, und nicht bloß er. In letzter Zeit war Messerschmidt an mehreren Aktion beteiligt gewesen: an der Blockade der Bodanstraße vor dem Lago im Februar 2023, an der Aktion ein Jahr später, als die Konstanzer SPD der mehrfachen Ministerin und EU-Abgeordnete Katarina Barley den „Heckerhut“ verlieh, und im April an der „Unbotmäßigen Versammlung“ von Klimaaktivist:innen auf dem Stephansplatz. Auch in Stuttgart und Berlin hat er gegen die mangelnde Handlungsbereitschaft der Regierenden protestiert.
Wer die Aktionen der Konstanzer Gruppe von die „Letzte Generation vor den Kipppunkten“ verfolgte, kennt ihn also. Und die Behörden kennen ihn auch. Sie haben ihm mehrfach Strafbefehle zukommen lassen, Gerichtstermine angesetzt und ihn vor einiger Zeit zu einer Geldstrafe verurteilt. Und er hat auch den einen oder anderen Strategiewechsel der Organisation mitgemacht, die vor allem durch ihre Asphaltklebereien bekannt wurde.
Doch damit ist es nun vorbei.
Milde Strafen hier, anderswo Knast
„Wir sind bisher davon ausgegangen, dass unser Protest anwachsen würde“, sagt er, und das habe anfangs ja auch prima geklappt. In vielen Städten und Regionen beteiligten sich immer mehr lokale und regionale Gruppen an Straßenaktionen, an Flugplatzbesetzungen (in München, Frankfurt, Leipzig, auf Sylt und zuletzt in Kassel), an Störmanövern vor Ölhäfen, Parteizentralen oder an Pipelines, bei denen Gas- und Ölleitungen abgedreht wurden.
Doch wen bewegte das außer aufgebrachte Autofahrer:innen – und die Justiz? In Konstanz gingen die von der Staatsanwaltschaft wegen angeblicher Nötigung, Sachbeschädigung oder Gewaltanwendung initiierten Verfahren bisher glimpflich aus. Der Prozess gegen einen Jugendlichen, der an der zehnminütigen Bodanstraßen-Blockade und einer längeren Sperrung der Europabrücke im Juli 2023 beteiligt war, endete mit einer Strafe in Höhe von 30 Arbeitsstunden (seemoz berichtete). Und als zuletzt die Verfahren gegen die anderen Beteiligten der Klebemaßnahmen in Konstanz anstanden, boten die Behörden einen Vergleich an: Zahlung einer Geldstrafe im niederen dreistelligen Bereich an eine Umweltorganisation. Die Beschuldigten akzeptierten.
Zur vergleichsweise geringen Strafe habe wohl beigetragen, „dass wir in Konstanz eher wenige Aktionen umsetzten“, sagt Messerschmidt, „und dass wir uns in einer Phase des Übergangs zu anderen Protestformen befanden“. Anderswo, in München oder Berlin zum Beispiel, schlägt der Staat ganz anders zu. Mit höheren Geldstrafen, mit langer Untersuchungshaft oder mit Haftstrafen ohne Bewährung, zuletzt in einem Fall mit fast zwei Jahren Knast.
Zusammenprügeln und wegknasten
Doch die erhoffte Dynamik, die erwartete Zunahme an Mitgliedern und Aktivist:innen, blieb aus – auch nachdem die Letzte Generation die Klebeaktionen beendete und sich dem neuen Konzept von Ungehorsamen Versammlungen zuwandte. „Wir von der Konstanzer Widerstandsgruppe hatten mehr Zuspruch erwartet, als wir die Hemmschwelle senkten“, sagt Messerschmidt „Wir dachten, dass wir mit einfachen, aber öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen ohne Konfrontation mehr Leute aktivieren“.
Und so blockierte die Konstanzer Gruppe der Letzten Generation Mitte April 2024 für mehrere Stunden den immer noch als Autoabstellort genutzten Stephansplatz in der Konstanzer Innenstadt. „Wir haben die 1,2-Grad-Grenze längst überschritten, in Indien oder den USA herrschen Temperaturen von über 50 Grad, weltweit sind Menschen auf der Flucht, das Artensterben nimmt rasant zu – da müssten doch einfach mehr Menschen erkennen, dass es so nicht weitergehen kann!“
Das Ergebnis war ernüchternd. Die Aktion habe gut geklappt, alles war friedlich, die anwesenden Polizist:innen seien auch sehr nett gewesen – „aber mehr Aktive haben wir nicht gewinnen können“. Resonanz? „Gleich null.“
Lohnt sich also der Aufwand noch? Was bringen Risiken, die auch eine Ungehorsame Versammlung in sich birgt? Hat Widerstand überhaupt noch Sinn – obwohl dieser eigentlich nur umgesetzt haben will, was Klimawissenschaftler:innen seit Jahren fordern? Was tun also, wenn die Politik überhaupt nicht reagiert? Sondern, wie derzeit, das Gegenteil unternimmt?
„Es ist nicht erkennbar, dass wir bis Ende dieses Jahrzehnts aus den Fossilen rauskommen“, sagt Messerschmidt. Und das liege auch daran, „dass die überwiegende Mehrheit der Menschen einfach nicht sehen will, was auf die zukommt“. Und wohl auch daran, fügt er hinzu, dass der Staat bisher gezeigt habe, „dass er gnadenlos alle zusammenprügeln oder wegknasten kann, die das System in Frage stellen“.
Was hat noch Sinn?
Wenn umstrittene Klebeaktionen nichts bringen, einfachere Protestformen kaum jemanden ansprechen, der Klimaprotest überhaupt schwächelt (siehe die schwindende Beteiligung an Klimastreiks von Fridays for Future Konstanz) und die Politik als vermeintliche Antwort auf die Rechtsentwicklung der Gesellschaft eine beschlossene Klimamaßnahme nach der anderen sausen lässt – was bleibt da noch?
Noch mehr riskieren – egal, welchen Sinn das hat und zu welchen Konsequenzen das führt? Das müssen die Aktivist:innen derzeit jeweils für sich entscheiden. In der Konstanzer Gruppe von der Letzten Generation haben das die meisten getan: „Wir haben uns nicht mehr groß getroffen“, sagt Boris Messerschmidt, der mittlerweile auch vorsichtiger geworden ist. „Drei, vier, fünf Gerichtsverhandlungen sind ja okay“, sagt er, „aber das Leben riskieren, vielleicht mit Knast, existentiellen Problemen, erheblichen Folgen für Partnerschaften? Das funktioniert einfach nicht.“
Diese Fragen stellen sich Klimaaktivist:innen in Konstanz – und sie sind nicht allein damit. Auch die österreichische Organisation der Letzten Generation gab kürzlich bekannt, dass sie ihre Proteste einstellt.
Die selbst gesetzte Frist ist abgelaufen
Eileen Blum, lange Zeit die treibende Kraft der Konstanzer Ortsgruppe, sieht das ähnlich. „Ja, wir haben unsere Regionalgruppe aufgelöst“, bestätigt sie – und dafür gebe es mehrere Gründe. Erstens werde es personell schwieriger, „da Mitglieder nach dem Abi wegziehen, in andere Städte gehen und dort aktivistisch aktiv sind“, sagt Blum, die inzwischen in Hessen studiert. Zweitens fokussiere sich die Organisation künftig auf wenige Regionen. Und drittens gebe es „die allgemeine Resignation in der Klimabewegung“.
„Wir haben so viel ausprobiert und sind nicht wirklich vorangekommen“, sagt Blum und erinnert daran, dass sie sich 2019 ohnehin eine Frist gesetzt hätten. „Wir haben uns damals vorgenommen, ein paar Jahre aktiv zu sein. Wir müssen bis 2025 einen Politikwechsel schaffen, haben wir uns gesagt, danach bringt es sowieso nichts mehr.“ Und jetzt sei man halt schon fast im Jahr 2025.
Die Chancen, fügt sie hinzu, seien „zwar immer ziemlich klein“ gewesen, „aber wir hatten ja noch nicht alles probiert“. Inzwischen aber schon: Protestmärsche, Asphaltaktionen, Schwimmdemos, Go-Ins, Besetzungen, Ungehorsame Versammlungen – alles weitgehend friedfertig und mit einem Minimum an Schäden. Ohne Erfolg.
Und so ist die Enttäuschung nicht nur am westlichen Bodensee groß. „Auch bundesweit sind sehr viele ausgetreten“, sagt Eileen Blum, „weil sie die Hoffnung verloren haben, noch was ändern zu können“. Zudem gebe es ja auch noch andere Themen, die ein Engagement verlangen, der Kampf gegen rechts zum Beispiel.
Hat also der Kapitalismus gesiegt? „Naja, er hat jetzt erst mal gewonnen“, sagt Blum. „Aber wenn es so weiter geht, zerstört er sich selber.“ Und was dann?
Text und Fotos: Pit Wuhrer
Schreiben Sie einen Kommentar