Vor zwei Wochen wurde Konstanz mit dem Deutschen Verkehrsplanungspreis 2024 ausgezeichnet. In ihrer Laudatio lobte die Jury das in der Bewerbung formulierte Ziel einer autofreien Innenstadt. seemoz fragt nach: Gibt es dieses Ziel wirklich? Und wenn ja, wird der Weg dorthin auch konsequent beschritten?
Der Preis wird seit 2010 alle zwei Jahre von der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung SRL und dem ökologischen Verkehrsclub VCD ausgelobt. Unterstützt wird er vom Deutschen Städtetag. Dieses Jahr stand der Wettbewerb unter dem Motto „Lebenswerte Straßenräume durch angepasste Geschwindigkeiten“.
Ein Ziel, das sehr gut zum Konstanzer Verkehrskonzept passe, findet Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn: „Das C-Konzept ist richtungsweisend für die Verkehrsplanung in unserer Stadt. Wir hatten Anfang des Jahres die Auslobung des deutschen Verkehrsplanungspreises gesehen und gedacht, dass das sehr gut zu unserem Verkehrskonzept passt. Deshalb hatten wir die Initiative zur Bewerbung ergriffen.“
Wofür wurde Konstanz ausgezeichnet?
Jurymitglied Thomas Mager vom VCD-Bundesvorstand betont die Stärken des Konstanzer Beitrags : Sie lägen in der Verbindung von mehreren städtebaulichen Maßnahmen, kombiniert mit der flächendeckenden Einführung von Tempo 30. „Vorbildlich ist der übergreifende Ansatz“, so Mager. „Konstanz schlägt die Brücke zur Schweizer Nachbarstadt Kreuzlingen und denkt langfristig. Der ruhende Verkehr soll weniger und der fließende langsamer werden. Am Ende könnte eine weitgehend autofreie Innenstadt stehen.“
Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn freut sich: „Die Auszeichnung bestätigt nicht nur die Qualität unserer Arbeit, sondern unterstreicht auch die Bedeutung innovativer Lösungen für ein lebenswertes und verkehrssicheres Konstanz. Es ist ein Gesamtkonzept, das Schritt für Schritt für mehr Lebensqualität umgesetzt wird: Umbau des Rheinsteigs, Neubau des Fernbusbahnhofs mit Parkhaus an der Europabrücke, aktuell die Umgestaltung des Bahnhofplatzes. Es folgt das Döbele und hoffentlich legt zeitnah auch wieder der Wasserbus vom Europaquartier ab.“
Der lange Weg zur „autofreien Innenstadt“
Blicken wir ein paar Jahre zurück. Im Amtsblatt vom 8. Juli 2020 stellte die Verwaltung unter dem Titel „Auf dem Weg zur autofreien Innenstadt“ ihre Mobilitätsstrategie vor. Am gleichen Tag befasste sich in einer nahezu achtstündigen Sondersitzung (Ende laut Protokoll um 23.50 Uhr) auch der Technische und Umweltausschuss (TUA) mit dem Thema.
FDP und CDU betonten, die Innenstadt könne und dürfe niemals völlig „autofrei“ werden, da die Konstanzer:innen immer die Möglichkeit haben sollten, die Innenstadt mit dem Auto zu erreichen. Dementsprechend abgelehnt wurde ein Antrag der Grünen, die gesamte Innenstadt als Fußgängerzone auszuweisen.
Auf der anderen Seite haderten damals das Junge Forum, die Grünen und die Linke Liste (LLK) mit dem Begriff „autofrei“, weil die gefassten Beschlüsse gar nicht auf eine tatsächlich autofreie Innenstadt abzielten. „Eine leicht durchschaubare Mogelpackung“, so LLK-Stadtrat Holger Reile. Für ihn ging das Konzept nicht weit genug. Ohne konkrete Fahrverbote könne von einer autofreien Innenstadt nicht die Rede sein.
Mit zwei Karten „Vorher“ und „Nachher“ veranschaulichte das Amtsblatt damals das Vorhaben. Künftig sollten ein Wasserbus und eine neue, kostenlose Buslinie die Altstadt mit dem „Mobilpunkt“ am nördlichen Brückenkopf der Europabrücke verbinden. Die drei Parkhäuser innerhalb des Altstadtrings, also Dammgasse, Fischmarkt und Augustinerplatz, wären für Anwohner:innen und Gewerbe zu reservieren. Die mit dem C-Konzept geplante Sperrung des Bahnhofsplatzes für den privaten Autoverkehr war zwar auf der Karte nicht berücksichtigt, wurde aber im begleitenden Text vorgestellt.
Wasserbus und City-Shuttle – zu viel versprochen
Machen wir einen ersten Faktencheck. Kostenlose Buslinie und Wasserbus? Es gibt ihn, den sogenannten City-Shuttle, allerdings nur am Samstagen. Und auch nicht ganz kostenlos, doch mit sechs Euro für das Gruppentagesticket immerhin recht günstig. Der Wasserbus, also eine zwischen dem Anleger am Bodensee-Forum und dem Hafen pendelnde Personenfähre, fuhr zuletzt 2019. Dann kam Corona, und danach fehlte das Geld.
„Der Wasserbus kostete pro Einsatztag mit 16 Fahrten zwischen 10.15 und 19.45 Uhr netto 2.200 Euro“, beklagt die Stadt. Und für den angestrebten 30-Minuten-oder gar einen 20-Minuten-Takt braucht es gleich zwei Schiffe!
Doch wir dürfen hoffen. Nach der für Ende 2025 geplanten Inbetriebnahme des Asisi-Panoramas und des neuen Parkhauses könne die Verbindung „an Wochenenden und Hochlasttagen“ wieder angeboten werden, zitiert der Südkurier einen Sprecher der Stadtverwaltung.
Eingesetzt werden sollen dann Schiffe mit Elektroantrieb. Klingt fortschrittlich. Jedoch: Eine elektrisch angetriebene Fähre querte bereits von 1908 bis 1945 tagtäglich den Rhein – nur etwas weiter flussab, nämlich in Bonn-Bad Godesberg.
Rheinsteig – wo bleibt der Übergang?
Schauen wir nun in die Bewerbung für den Verkehrspreis. Als bereits realisierte Maßnahme zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität nennt die Stadtverwaltung den Umbau des Rheinsteigs. Es fehlt allerdings noch ein ebenerdiger Überweg, mit dem Fußgänger aus der Niederburg die neue Flaniermeile am Rheinufer erreichen können. Eine Dunkelampel, also eine Fußgängerampel, die sich erst einschaltet, wenn ein:e Passant:in den Knopf drückt, ist finanziert, bewilligt und noch für 2024 versprochen. Warten wir’s ab.
Kampfzone Stephansplatz
Als weitere Maßnahme für mehr Aufenthaltsqualität wird die Umgestaltung des Stephansplatzes angeführt. Wer die Debatte der letzten Monate verfolgt hat, der weiß, dass wir es hier mit der Hauptkampfzone der Anhänger:innen und Gegner:innen des motorisierten Individualverkehrs (MIV) zu tun haben.
Die einen befürchten, mit jedem gestrichenen Parkplatz würde der Handel an Umsatz verlieren. Andere halten den Besitz eines Automobils samt der Möglichkeit, dasselbe im öffentlichen Raum kostengünstig zu parkieren, für ein dereinst hart erkämpftes Recht der werktätigen Bevölkerung, weshalb dieses Symbol der Wohlstandsteilhabe nun auf Teufel komm raus verteidigt werden muss.
Für die Gegenseite ist die Aufhebung der letzten großen innerstädtischen Parkfläche logische Fortsetzung und Schlussstein einer Entwicklung, die vor einem halben Jahrhundert bescheiden in der Rosgartenstraße begann und Zug um Zug die Altstadt vom Autoverkehr befreite und den Straßenraum wieder den Fußgänger:innen zurückgab – soweit sie ihn nicht der Außengastronomie übereignete.
Die wundersame Vermehrung der Stellplätze. Nur vorübergehend?
Eine Mehrheit im Gemeinderat machte zur Vorbedingung für den Umbau des Stephansplatzes, dass die dortigen rund 80 Parkplätze an anderer Stelle geschaffen würden. Mit der Umwidmung des früheren Fernbusbahnhofs am Döbele zu Parkplätzen wäre diese Bedingung eigentlich erfüllt.
Doch nun kamen neue Einwände. Man solle kein Geld für ein Provisorium rauswerfen und doch bitte erst dann umbauen, wenn die notwendigen Millionen für die endgültige Lösung bereitstünden. Weitere Nebelkerzen warf der Südkurier. Wenn das am Döbele geplante Parkhaus gebaut würde, entfielen ja für die Bauzeit die vom Stephansplatz verlagerten Stellplätze. Sollten die Altstadtbewohner:innen – plötzlich war der Stephansplatz vor allem ein Anwohnerparkplatz – dann etwa am Brückenkopf Nord parken?
So kam es, dass die Menge der linksrheinischen Parkplätze zunächst einmal vermehrt wurde. Stephansplatz bleibt, hinzugekommen sind die Stellplätze auf dem früheren Fernbusbahnhof am Döbele. Und die Lobby des MIV denkt weiter. Selbst wenn dereinst die Parkplätze vom Stephansplatz irgendwohin anders verlagert werden könnten, so müssen doch zumindest einige dort – an der Nordseite – erhalten bleiben. Nämlich für Handwerker und gehschwache Arztbesucher:innen!
Warum die Parkhäuser nicht nur für Anwohner:innen sind
Die Karte des Amtsblatts von Juli 2020 hatte dafür eine andere Lösung parat. Auf ihr waren die Altstadt-Parkhäuser nur noch für Anwohner:innen und Gewerbe vorgesehen, und sicher hätte es dort auch Plätze für Arztbesucher:innen geben können. Doch dazu kam es nicht und wird es auch nicht kommen.
Kurzzeit- oder Tagesparken bringt den Parkhausbetreibern mehr Einnahmen als die langfristige Vermietung von Stellplätzen. Auch die Stadtwerke steigen nun am Augustinerplatz und an der Laube ins Parkhausgeschäft ein. Und wollen um des schnöden Mammons willen dort nicht nur Anwohnerparkplätze.
Deshalb wird auch das geplante Parkhaus Döbele, im Neusprech „Mobilitätshub Döbele“ genannt, nicht nur für die Autos von Anwohner:innen sein, sondern mehrheitlich Plätze für Kurzzeit- und Tagesparken anbieten. Schweizer Einkaufskund:innen bleiben also weiter eingeladen, mit dem Auto nach Konstanz zu kommen und zentrumsnah zu parken.
Verzögert und verwässert
Fassen wir zusammen: Die Verkehrsplanung dient unstrittig dem Ziel, die Belastung des Stadtzentrums durch den MIV zu vermindern und die Aufenthaltsqualität zu erhöhen. Angesichts der geografischen Lage mit nur wenigen Zugängen ins linksrheinische Konstanz wären hier aber auch deutlich weitergehende Einschränkungen des Autoverkehrs denkbar.
Keinesfalls preiswürdig scheint mir aber die Verkehrsplanung im Hinblick auf die Umsetzung der ursprünglich angedachten Maßnahmen. Hier wird verzögert, verwässert und manchmal auch ein bisschen gemogelt. Dafür mag es gute Gründe geben: „Die Veränderung des Mobilitätsverhaltens werden wir nicht in Konstanz erzeugen. Dies wird sich gesamtgesellschaftlich in den nächsten 15 Jahren entwickeln. Wir halten daher ein schrittweises Vorgehen für den richtigen Weg“, schreibt uns etwa die Fraktion der Freien Wähler. Man mag diese Zagheit für geboten halten – doch ist sie preiswürdig?
Vielleicht muss man den Preis einfach nur als Ermutigung und Mahnung verstehen, das Ziel einer Verkehrswende weg vom Auto nicht aus dem Blick zu verlieren.
Text: Ralph-Raymond Braun
Fotos (ganz oben: Asphaltmalereien auf dem Stephansplatz beim Fridays-for-Future-Aktionstag Mai 2022): © Pit Wuhrer / Bild Verleihung des Deutschen Verkehrsplanungspreises 2024 (von links: SRL-Vorsitzende Katalin Saary; der Konstanzer Verkehrsplaner Sebastian Nadj; Amtsleiterin Marion Klose; Frankfurts Verkehrsdezernent Wolfgang Siefert): © Stadt Frankfurt / Maik Reuß
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