Olivera Kovačević-Rauschenbach starb am 1. September an Krebs. In Konstanz kannten sie sehr viele Menschen als Verfechterin von Integration und als Brückenbauerin. Sie engagierte sich für Chancengerechtigkeit und war viele Jahre lang ehrenamtlich als Mentorin und Übersetzerin tätig.
Olivera Kovačević-Rauschenbach ist tot. Am 1. September 2024 verstarb sie im Alter von 65 Jahren nach einem zweijährigen Kampf gegen den Krebs. Geboren wurde sie in Bajmok, einem kleinen Ort im damaligen Jugoslawien, heute Serbien. Vor allem ihre Liebe zur Literatur und ihre Vision von Bildung, Gerechtigkeit und Gemeinschaft prägten ihr Leben – und ihr Wirken, auch in Konstanz.
Eine reisende Leserin und Weltbürgerin
Bücher waren ihre größte Leidenschaft und begleiteten sie durch alle Lebensphasen. In ihren letzten Tagen las sie noch Comics und den serbischen Schriftsteller Momo Kapor. Olivera studierte serbo-kroatische Literatur in Novi Sad und schon als junge Studentin erschloss sie sich die Welt aus Büchern und Reisen. Manchmal hätte sie sich nur von Babykeksen ernährt, um sich damals das Reisen leisten zu können, erzählte sie ihrer Tochter. Einmal sei sie nach Moskau gereist, nur weil sich dort eine Möglichkeit ergab, Bücher zu erwerben, die damals in Jugoslawien verboten waren.
Ihre Freude am Reisen führte sie Anfang der 1990er Jahre auch nach Konstanz, ihre Wahlheimat, in die sie „wegen der Liebe“ zog, wie sie gerne sagte. Ihren Mann hatte sie auf einer Reise auf der kroatischen Insel Silba kennengelernt, und die Entscheidung, für die Liebe ein neues Leben in Deutschland zu beginnen, prägte ihren Weg. Aus Büchern lernte sie auch die deutsche Sprache – begleitet von einem Wörterbuch, erschloss sie sich hartnäckig jedes Wort.
Brüderlichkeit und Einheit waren für sie wegweisend
Der kriegerische Zerfall ihrer Heimat Jugoslawien und dessen nationalistischen, spaltenden Auswirkungen – auch in der deutschen Diaspora – beschäftigten sie zeitlebens. „Brüderlichkeit und Einheit“ war die Losung des antifaschistischen Staates Jugoslawien, als Antwort und Gegenentwurf zu Faschismus und nationaler Spaltung in einem multiethnischen, multireligiösen Staatenbund.
An dieser Idee von „Brüderlichkeit und Einheit“ im Sinne von Gleichheit der Menschen, unabhängig ihrer religiösen oder nationalen Zugehörigkeiten, hielt sie fest und machte keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten. Es war ihr immer ein großes Anliegen, das Verbindende zwischen den Menschen zu stärken. Nach dem Zerfall Jugoslawiens entschied sie sich nicht für eine der vielen möglichen Nationalitäten, sie verstand sich weiterhin als Jugoslawin und ihre Sprache blieb für immer das Serbokroatische, die gemeinsame Sprache des ehemaligen Jugoslawiens.
So engagierte sich Olivera in Konstanz in den 1990er und Nullerjahren bei zahlreichen Veranstaltungen zum ehemaligen Jugoslawien mit Künstler:innen und Friedensaktivist:innen. Unter anderem organisierte sie auch eine Veranstaltung mit Zoran Djindjic, dem serbischen Oppositionsführer, Bürgermeister von Belgrad und späteren Ministerpräsidenten, der als demokratischer Hoffnungsträger der Region galt und 2003 von Nationalisten erschossen wurde.
Eine Kämpferin für das Verbindende, für Integration und Chancengerechtigkeit
Früh engagierte sie sich auch im Ausländerausschuss, dem Vorläufer des späteren Forums für Integration der Stadt Konstanz und heutigen Internationalen Ausschuss. Hier war sie eine Verfechterin des Dialogs, der Bildungsförderung für migrantische Kinder sowie der Stärkung von Rechten für migrantische Menschen und ihrer Förderung in allen Belangen. Angebote wie Elterninformationstage, bei denen migrantische Eltern über das deutsche Bildungssystem informiert wurden oder das Elternmentoren-Programm, brachte sie maßgeblich mit auf den Weg. Sie war überzeugt davon, dass Bildungsgerechtigkeit elementar für eine gerechtere Welt sei.
Ihr eigener akademischer Abschluss wurde in Deutschland nicht anerkannt, dennoch blieb sie auch beruflich ihren Idealen treu. Viele Jahre war sie angestellt bei der Buchhandlung „Weltbild“. Nach deren Schließung leitete sie das Nachhilfeinstitut „Studienkreis“, in ihren letzten Berufsjahren war sie dann als Verkäuferin tätig. Bis zu ihrer Erkrankung war sie auch als ehrenamtliche Übersetzerin aktiv.
Eine willensstarke Idealistin
Olivera war eine sehr belesene, kluge und willensstarke Kämpferin für Bildung und eine bessere Welt. Sie liebte das Kino, das Theater und Konzerte. Kultur war für sie ein Weg, die Welt zu erklären, die Welt zu genießen und sie besser zu gestalten. Gegen ihre Krankheit kämpfte sie bis zum Schluss mit einer großen Portion Optimismus. Ein großer Trost war die Zeit, die sie noch mit ihrer Tochter und ihrer kleinen Enkelin verbringen konnte. Aber Trauer und Tränen mochte sie nicht sehen, und verbat sich eine Beerdigung mit Trauerfeier im konventionellen Sinn.
Oliveras Asche wird in der Adria verstreut. Das war ihr Wunsch. Möge die Adria ihre Asche aufsaugen und Oliveras Ideale weiter in die Welt tragen. Olivera, ruhe in Frieden.
Text: Anna Blank, Bild: privat
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