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Mit der Bazooka durchs Baurecht – freie Fahrt für den Profit

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Vergangene Woche debattierte der Bundestag die von der Regierung eingebrachte Überarbeitung des Baugesetzbuchs (BauGB). Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis protestiert gegen den vorgesehenen „Bau-Turbo“ in Gestalt des § 246e. Demnach soll vorübergehend in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt für Projekte mit sechs und mehr Wohnungen von nahezu allen Vorschriften des BauGB abgewichen werden können.

Um dem Wohnungsmangel zu begegnen, hatte die Bundesregierung vor fast zwei Jahren das ehrgeizige Ziel formuliert, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Fertiggestellt wurden 2023 aber nur rund 270.000 Wohnungen. Um den Wohnungsbau zu beschleunigen, wurde dann auf dem Baugipfel im September 2023 der sogenannte „Bau-Turbo“ angekündigt – an markigen Begriffen für ihre Vorhaben mangelt es der Regierung und dem Kanzler ja bekanntlich nicht.

Verzweiflungstat gegen den Wohnungsmangel

Mit dem sogenannten Bau-Turbo soll der Bereich des potenziellen Baulands für den Geschosswohnungsbau deutlich ausgeweitet werden. Und das vor allem auf der grünen Wiese am Ortsrand. Die etablierte Planungskultur bleibt bei diesem beschleunigten Verfahren ebenso außen vor wie demokratische Beteiligungsprozesse.

Dagegen wendet sich in einer gemeinsamen Stellungnahme ein breites Bündnis der organisierten Zivilgesellschaft, dabei etwa der DGB, der Deutsche Mieterbund, Umwelt-, Sozial- und Architektenverbände sowie die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“. Die geplante Regelung, so die Kritik, setze klima- und flächenschutzpolitische Fehlanreize und habe potenziell gravierende Konsequenzen für die Siedlungspolitik, die Lebensqualität, die sozial-ökologische Transformation der Wohnungspolitik sowie für die Planungs- und Beteiligungskultur in Deutschland.

Gleichzeitig würden wirkungsvolle Maßnahmen in anderen Bereichen, etwa der Ertüchtigung des Bestands, der Bodenpolitik sowie des Mietrechts, nicht im nötigen Umfang und mit der gebotenen Dringlichkeit auf den Weg gebracht.

Viel Arbeit für Behörden und Gerichte

Der baupolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Daniel Föst, wies in der Debatte darauf hin, dass es nach der vorgesehenen Regelung ja den Kommunen überlassen bleibe, Bauvorhaben nach § 246e an den Restriktionen des Baugesetzbuchs vorbei durchzuwinken oder nicht. Wer die investorenfreundliche Politik und Genehmigungspraxis der Konstanzer Baurechtsbehörde in den letzten Jahrzehnten verfolgt hat, der wird vermuten, dass man demnächst reichlich von der immerhin bis Ende 2027 befristeten Befreiung Gebrauch machen wird.

Viele Prüfungen, die bisher in aufwendigen Verfahren beim Aufstellen eines Bebauungsplans anfielen, müssen bei Genehmigungen auf Basis des Bau-Turbos nun im beantragten Einzelfall vom Baurechtsamt durchgeführt werden. Damit kommt auf die Baurechtsbehörde und letztlich die Gerichte viel Arbeit zu, zu nennen sind etwa die Prüfung des Vorhabens auf Artenschutz und Lärmschutz, auch auf notwendige Ausgleichsmaßnahmen für den Naturschutz. Anders als bei dem für Normenkontrollverfahren offenen Bebauungsplan können bei der Einzelfallgenehmigung – mangels Norm – neben Umweltverbänden nur noch direkte Nachbar:innen klagen, die sich durch die Genehmigung in ihren eigenen Rechten verletzt fühlen.

Hier nun die Stellungnahme der Kritiker:innen im Wortlaut:

Kein Beitrag zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum

Der geplante § 246e führt nicht zu bezahlbarem Wohnraum. Weder sind klare Vorgaben zum Bau von Mietwohnungen oder zur sozialen Wohnraumförderung enthalten, noch werden Mietpreisbindungen oder Schutzmechanismen für Mieter:innen gestärkt. Stattdessen wird es einfacher, bestehende Regelungen für Milieuschutz [die es allerdings in Konstanz erst gar nicht gibt] zum Schutz vor Mietpreissteigerungen zu umgehen. Umbauten, Ergänzungen und Erweiterungen, die zu einer Mietpreiserhöhung führen und Verdrängungsprozesse beschleunigen, können leichter und ohne das übliche Genehmigungsverfahren umgesetzt werden. Dies begünstigt Verdrängungsprozesse in ohnehin angespannten Wohnungsmärkten und treibt die Mieten weiter in die Höhe.

Türöffner für Bodenspekulation auf Kosten der Allgemeinheit

§ 246e öffnet der Bodenspekulation Tür und Tor. Indem weitgehend von den Vorschriften des BauGB abgewichen werden kann, wird der Wettbewerb um Baurechte und Bauland verschärft. Dies begünstigt spekulative Grundeigentümer:innen und Investor:innen und führt zu weiter steigenden Bodenpreisen. Voraussichtlich werden vor allem der Handel mit Baurechten und Bauland sowie profitorientierte Bauprojekte gefördert, während die Schaffung bezahlbarer Wohnungen, nicht kommerzielle Nutzungen und kleinteiliges Gewerbe auf der Strecke bleiben. Der „Bau-Turbo“ droht somit die soziale Ungerechtigkeit zu verschärfen und zementiert Fehlentwicklungen in der Bodenpolitik.

Gefahr für Umwelt und nachhaltige Stadtentwicklung

§ 246e schwächt den dringend notwendigen Schutz von wertvollen Grün- und Agrarflächen. Empfindliche Ökosysteme in städtischen Randgebieten drohen zerstört und die Zersiedelung vorangetrieben zu werden, ohne dass dies dem bezahlbaren Wohnungsbau zugute kommt.
Deutschland hat sich bis 2030 zur Verringerung des Flächenverbrauchs auf höchstens 30 ha/Tag verpflichtet und strebt bis 2050 sogar das Flächenverbrauchsziel Netto-Null an. Bis dato fehlen dem BauGB jegliche Instrumente, dies mit der erforderlichen Konsequenz auf den Weg zu bringen.

§ 246e BauGB verschlimmert die Zersiedelungsproblematik und konterkariert die Erreichung der Flächenverbrauchsziele, indem die Voraussetzungen für Vorhaben an den Siedlungsrändern und auf der sogenannten grünen Wiese verwässert werden. Dies geht auch zu Lasten von Naturschutzbelangen und der benachbarten Landwirtschaft, indem die Konkurrenz um Agrarland verstärkt und Preisanstiege durch Spekulationsvorgänge gefördert werden. § 246e BauGB würde in Ballungsgebieten der Umwandlung von Grün- in Bauland Vorschub leisten und diese wertvollen Ökosysteme zerstören.

Dies konterkariert sowohl das nationale Ziel, den Flächenverbrauch zu reduzieren, als auch die Verpflichtung aus der EU-Wiederherstellungsverordnung, bis 2030 keinen Verlust städtischer Grünflächen zu verzeichnen.

Angriff auf kommunale Selbstverwaltung und demokratische Planungskultur

Die Einführung des § 246e als Abweichungsverfahren ohne Beteiligung greift die demokratische Planungskultur an und stellt die kommunale Selbstverwaltung grundsätzlich in Frage. Nicht mehr der vom gewählten Gemeinderat beschlossene Bebauungsplan entscheidet, sondern allein die Fachleute in der Verwaltung. Das steht im Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft und den Zielen und Grundsätzen einer nachhaltigen, geordneten städtebaulichen Entwicklung.

Intransparenz erschwert Nachvollziehbarkeit und untergräbt Vertrauen

Das nachträgliche und intransparente Einfügen des § 246e in den Kabinettsbeschluss, ohne dass er im Referentenentwurf enthalten war und ohne entsprechende Möglichkeit zur Stellungnahme, ist aus Sicht der zeichnenden Organisationen äußerst bedenklich und erschwert die Nachvollziehbarkeit dieser Entscheidung.

Durch die mangelnde Auseinandersetzung mit der umfangreichen Kritik von Fachleuten sowie der Zivilgesellschaft trägt die Bundesregierung wesentlich zur Untergrabung des Vertrauens in den Gesetzgebungsprozess bei.

Text: MM/rrb; Bild: pixabay

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