Die Stadtwerke Konstanz (SWK) wie auch ihre Nachbarn in Kreuzlingen und Radolfzell verkaufen nur noch Ökostrom. Wie kann das gehen, wo doch aller Strom, egal ob aus fossilen Brennstoffen oder erneuerbaren Quellen erzeugt, ins selbe Netz eingespeist wird und als Mix aus der Steckdose kommt? Und wie grün ist der Ökostrom eigentlich? seemoz fragte nach.
Die Branche benutzt gern das Bild des Stromsees. So wie Bäche und Flüsse das Wasser in den Bodensee, so speisen alle Stromproduzent:innen ihren Strom in den Stromsee ein. Erneuerbare Energie aus Biomasse-, Wasser-, Solar- oder Windkraftanlagen mischt sich in diesem See mit Energie, die aus der Verbrennung von Erdöl, Gas, Kohle oder gar noch aus Kernkraft gewonnenen wird – dem sogenannten Graustrom.
Am anderen Ufer, der Abflussseite, entnehmen die Verbraucher:innen den Strom. Alle bekommen die nahezu gleiche Stromqualität. Nur wer direkt neben einem Zufluss, etwa einem Kohlekraftwerk, seinen Strom entnimmt, bekommt ein bisschen mehr aus dieser Quelle, denn der Strom sucht sich den kürzesten, widerstandsärmsten Weg.
Wenn ein:e Verbraucher:in zu einem Ökostromtarif wechselt, ändert sich am Strom, der ins Haus kommt, überhaupt nichts. Der Energieanbieter muss nur dafür sorgen, dass die entsprechende Menge Ökostrom, die er der Kund:in verkauft, irgendwo in den Stromsee eingespeist wird. Allerdings: Je weiter das einspeisende Kraftwerk von der Verbrauchsstelle entfernt ist, desto größer sind die Übertragungsverluste. Speist etwa ein Wasserkraftwerk in Norwegen 1000 Kilowattstunden Grünstrom ein, kommen davon am Bodensee geschätzt nur 900 Kilowattstunden an. Den Verlust gleicht der Mix aus dem Stromsee aus.
Ökostrom, der so nicht heißen darf
Etwa 60 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms stammen bereits aus erneuerbaren Energiequellen. Davon wiederum wird der allergrößte Teil vom Staat über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert. Dieser klimafreundlich erzeugte Strom ist auf der Stromrechnung als „Erneuerbare Energien gefördert nach dem EEG“ ausgewiesen. Wer mit dem Etikett Ökostrom verkaufen will, braucht über den EEG-geförderten Strom hinaus noch „sonstige erneuerbare Energie“. Für die muss er Herkunftsnachweise erwerben, diese auf sein Konto beim Umweltbundesamt einbuchen und mit dem Verkauf von Ökostrom verrechnen.
Weil in Deutschland fast jeder Stromproduzent die EEG-Förderung in Anspruch nimmt, stammen die allermeisten dieser auch Grünstromzertifikate genannten Herkunftsnachweise aus dem Ausland. Zertifikate für Wasserkraft kommen meist aus Norwegen, Schweden oder Island. Viele dieser Kraftwerke sind schon Jahrzehnte in Betrieb. Zertifikate für mit Photovoltaik erzeugtem Strom stammen vor allem aus Spanien.
Wie funktioniert das Greenwashing?
Das Problem: Zertifikate und der dafür erzeugte Strom werden getrennt gehandelt. Ein norwegisches Wasserkraftwerk kann etwa seine Grünstrom-Herkunftsnachweise nach Deutschland verkaufen, mit dem produzierten Strom aber die Kunden in seiner Umgebung beliefern. Theoretisch dürfte es diesen Strom dann nicht mehr Ökostrom nennen und auf die norwegischen Verbraucher:innen entfiele ein entsprechend größerer Anteil an in den Stromsee eingespeister fossiler und atomarer Energie. Doch wer kapiert das? Zumal auf den Stromrechnungen für die Norweger:innen kein Herkunftsnachweis steht.
Umgekehrt kann der deutsche Betreiber eines Kohlekraftwerks die entsprechende Menge Ökozertifikate dazukaufen, und schon ist sein Kohlestrom Ökostrom. Das nennt sich dann Greenwashing. Die Zertifikate kosten etwa 6,50 Euro pro Megawattstunde.
Offensichtlich wird das Greenwashing auch am Beispiel der isländischen Stromwirtschaft. Das Land erzeugte 2022 etwa 20 Terawattstunden (TWh) Strom, ganz überwiegend aus Wasserkraft und Geothermie, und verkaufte für 15 TWh Grünstromzertifikate. Die Insel ist aber gar nicht über Stromleitungen mit dem Rest der Welt verbundenen, sie kann also keinen Strom ins europäische Netz einspeisen.
Nehmen wir an, auf Island werde ausschließlich Ökostrom erzeugt, verbleiben in der Zertifikatebilanz für den Eigenverbrauch nur noch 5 TWh. Die wegen des billigen Stroms ins Land gelockte Aluminiumindustrie, eine besonders energieintensive Branche, verbraucht 12 TWh. Nicht nur die Aluminiumwerke, sogar der staatliche Energiekonzern Landsvirkjun wirbt damit, die Aluminiumherstellung in Island habe einen der niedrigsten CO2-Fußabdrücke weltweit, da das Aluminium mit erneuerbaren Energien produziert werde. Auch dies ein klassischer Fall von Greenwashing.
Strommix der Stadtwerke Konstanz
2022 enthielt der Strommix der Stadtwerke Konstanz, die ja nur Ökostrom verkaufen, 59 Prozent „Erneuerbare Energien gefördert nach dem EEG“. Dieser Anteil, auf Stromrechnungen in einem Tortendiagramm veranschaulicht, wird auf Bundesebene im Nachhinein festgestellt und ist bei allen Ökostrom-Anbieter:innen gleich.
Damit verbleiben 41 Prozent, die über Zertifikate abgedeckt werden müssen. Von diesen stammen etwa drei Viertel aus dem Kauf von Grünstromzertifikaten ohne gleichzeitigen Stromeinkauf, ein Viertel aus dem gleichzeitigen Kauf von Strom und Herkunftsnachweis von ein und demselben Kraftwerk.
Ihre Zertifikate ohne gleichzeitigen Stromeinkauf, so schreiben uns die Stadtwerke, „stammen vorwiegend vom Festland, unter anderem aus Deutschland, Österreich, Frankreich, der Schweiz, Belgien und Norwegen, nicht jedoch aus Island.“
„ÖkostromPlus“ – ein bisschen mehr öko
Unter dem Namen ÖkostromPlus bieten die SWK auch echten Ökostrom an, bei dem alle Herkunftszertifikate mit tatsächlichen Stromlieferungen aus regenerativen Quellen verbunden sind. Dieser Strom ist mit dem Grüner-Strom-Label der Umweltverbände ausgezeichnet.
Zum Nachweis müssen die Stadtwerke gegenüber dem Verein, der das Label vergibt, ihre Lieferverträge und die entsprechenden Zertifikate offenlegen. Das Label garantiert auch, dass ein Teil des Strompreises in den Ausbau regenerativer Energiequellen fließt. Im Konstanz bislang vor allem in den Ausbau der Photovoltaik.
Ihren Ökostrom mit Herkunftsnachweis aus dem gleichen Kraftwerk beziehen die Stadtwerke Konstanz ganz überwiegend aus den Laufwasserkraftwerken am Inn, an denen sie über Anteile an der „Innkraft Bayern“ beteiligt sind. Allerdings übersteigt die Nachfrage nach ÖkostromPlus die Eigenproduktion. Die SWK müssen also zukaufen. Hauptlieferant für zusätzlichen Ökostrom mit Herkunftsnachweis waren in den letzten Jahren ausschließlich Laufwasserkraftwerke der Verbund AG an Donau und Inn und der Électricité de France (EDF) am Oberrhein. 2022 kaufte man außerdem vom Schweizer Stromkonzern Repower AG in Frankreich produzierte Wasserkraft.
Auch bei ÖkostromPlus bleiben Lücken
Das Grüner-Strom-Label garantiert jedoch nur den mengengleichen Einkauf von Grünstrom. Das bedeutet, dass das liefernde Kraftwerk übers Jahr verteilt die gleiche Menge Ökostrom ins Netz einspeisen muss, wie die SWK insgesamt im Jahr verkaufen. In der Tat, so Stadtwerke-Chef Gordon Appel, habe man mit den Lieferanten solche Mengenverträge.
Mengenverträge haben aber zur Folge, dass die ÖkostromPlus-Kund:innen in Spitzenzeiten einen gewissen Anteil Strom unbekannter Herkunft bekommen. Dafür wird zu Zeiten, in denen der Verbrauch geringer ist, Wasserkraftstrom an andere Verbraucher:innen geliefert, ohne dass es bei diesen deklariert wäre. In der Summe stimmen die deklarierten mit den verbrauchten Mengen überein, nur nicht zu jedem Zeitpunkt.
Umstrittene Wasserkraft
Bislang kauften die SWK ihren ÖkostromPlus ausschließlich von Laufwasserkraftwerken. Einfach deshalb, weil dieser Strom gegenüber Wind- oder Solarenergie billiger war. Anders als Wind- oder Solaranlagen liefern Laufwasserkraftwerke kontinuierlich Strom. Sie eignen sich also gut zur Abdeckung einer rund um die Uhr nachgefragten Grundlast und haben allenfalls jahreszeitliche Differenzen: Steht der Bodensee hoch, gibt es im Einzugsbereich etwas mehr Wasserfluss und Strom; steht er im Winter niedrig, gibt es weniger. Last but not least: Die Technologie ist ausgereift und langlebig, bei guter Pflege haben Turbinen und Fallrohre eine Lebensdauer von 80 und mehr Jahren.
Doch die Wasserkraft ist nicht unumstritten. Erweitert man den Blick über den Klimaschutz hinaus zu Artenschutz und Biodiversität, dann leidet die Gewässerökologie. Aufstauungen blockieren Wanderfische, Wassertiere werden in den Turbinen geschreddert. Auch Kleinkraftwerke, wie man sie aus dem Schwarzwald kennt, schneiden in der Ökobilanz nicht besser ab. Ebenso wenig die von der Wasserwirtschaft als naturverträglich beworbenen Kraftwerke mit neuer Technik, wie eine Studie der TU München nachweist. Auch klimaneutral erzeugter Strom, zumal wenn er rund um die Uhr zur Verfügung stehen soll, beeinträchtigt also die Biodiversität.
Kaum Potenzial für die Energiewende
So wird in Deutschland zum Ärger der Kraftwerksbetreiber die Erneuerung von Konzessionen aus Naturschutzgründen sehr restriktiv gehandhabt. Nicht zu reden von der Genehmigung neuer Kraftwerke, denn das Wasserkraftpotenzial gilt als weitgehend ausgereizt – anders als in Österreich und der Schweiz.
Sowieso hat die Wasserkraft, gemeinsam mit „sonstigen Erneuerbaren“, in 2023 nur einen Anteil von 3,4 Prozent an der gesamten deutschen Stromerzeugung. Eine Energiewende lässt sich damit nicht stemmen.
Hauptproblem des Lebensraums Wasser sind bei uns jedoch nicht die Kraftwerke. Diese stellen gerade mal vier Prozent aller 215.000 Querbauwerke, die als Barrieren Deutschlands Fließgewässer zerstückeln und den Lebensraum von Wassertieren eingrenzen. Hauptursache dafür, dass viele Flüsse nicht in einem guten ökologischen Zustand sind, ist vielmehr vor allem der zu hohe Nährstoffeintrag, besonders von Nitrat, durch die Landwirtschaft.
Ökostrom rund um die Uhr?
Ein Ökostromprodukt mit zeitgleicher Einspeisung bieten die SWK nicht. Das würde bedeuten, dass der Versorger zu jedem Zeitpunkt die gleiche Menge Ökostrom erzeugt oder einkauft, die seine Kund:innen verbrauchen. In der Praxis wird dabei im Viertelstundentakt gerechnet, kurzfristige Schwankungen bleiben unberücksichtigt. Der Verbrauch wird bei Haushaltskunden über ein statistisch ermitteltes durchschnittliches Lastprofil angenommen. Größere Verbraucher haben spezielle Stromzähler, die den zeitlichen Verlauf der Stromentnahme festhalten.
Eine zeitgleiche Einspeisung auf Tagesebene zertifiziert etwa der TÜV Nord. Doch Vorsicht: Die zeitgleiche Einspeisung muss im Zertifikat explizit erwähnt werden! Die Gleichzeitigkeit zwischen Erzeugung und Verbrauch mindestens im Stundenraster garantiert der Standard EE02 des TÜV Süd.
Nur diese Zertifikate garantieren, dass die Kund:innen mit dem Begleichen ihrer Stromrechnung ausschließlich jene Arten von Stromerzeugung unterstützen, die im Strommix ihres gewählten Produkts deklariert sind. EE02 hat diesbezüglich die strengsten Kriterien. Mindestens drei Viertel des Preisaufschlags für den Ökostrom müssen zudem in die Förderung erneuerbarer Energien fließen. Dem Siegel EE02 wird allerdings vorgeworfen, den Aus- und Neubau erneuerbarer Energiequellen zu gering zu gewichten.
Der Tarif ÖkostromPlus der Stadtwerke Konstanz garantiert jedenfalls keine zeitgleiche Einspeisung. Wer dies wünscht, findet hier die wenigen Anbieter.
Stromeinkauf mit Makel
Neben dem nur mengengleichen, nicht zeitgleichen Einkauf von Ökostrom aus Wasserkraft hat der Tarif ÖkostromPlus der SWK in punkto Nachhaltigkeit einen weiteren Makel: Stromeinkauf von den EDF. Zwar bekommen das Grüner-Strom-Label für ihre Produkte nur jene Energieversorger, die nicht an Kohle- oder Atomkraftwerken beteiligt sind. Nicht ausgeschlossen ist dagegen der Strombezug von solchen Firmen.
Auch wenn die SWK Strom aus Flusskraftwerken der EDF kaufen, so betreibt die Électricité de France doch zahlreiche Atomkraftwerke und bauen weiterhin neue. Und ist zudem über ihren Eigentümer, den französischen Staat, maßgeblich daran beteiligt, dass die EU auch Atomkraft als nachhaltig eingestuft hat. Wäre ich Stromeinkäufer, würde ich solch einen Laden meiden.
Fazit: Der Tarif ÖkostromPlus ist das nachhaltigste Stromprodukt der Stadtwerke Konstanz. Hat aber noch Luft nach oben. Wie wär’s, wenn Konstanz nicht nur Vorreiter in punkto Klimanotstand wäre, sondern seine Stadtwerke auch in Sachen eines für die Energiewende nützlichen Stromtarifs?
Text: Ralph-Raymond Braun
Fotos: PV-Anlage auf der Gebhardschule: © Stadtwerke Konstanz / Warnschild im Ulmisried: © Pit Wuhrer / Kraftwerk Töging am Inn: © Aisano, CC BY-SA 3.0_commons.wikimedia.jpeg / Umspannstation: © Ralph-Raymond Braun
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