Screenshot Broschüre Bodensee Symphonie Orchester © Johannes Raab

Schwitzende Musiker:innen und ihre Zukunftsmusik

Screenshot Broschüre Bodensee Symphonie Orchester © Johannes Raab


Heiß her ging’s beim Eröffnungskonzert des jetzt Bodensee Philharmonie genannten Orchesters im Konzil. Da unser Musikkritiker gerade Urlaub macht und dem Autor das Konzert zwar gut gefallen hat, er sich das Bewerten seiner musikalischen Qualität aber nicht zutraut, geht es in diesem Beitrag um eine Personalie, ein ungewöhnliches Projekt und ein paar Neuerungen im Konzertablauf.

Was gibt es Neues? Dem Konzert voraus geht nun und künftig eine Bandansage, wie man sie inhaltsgleich auch aus dem Kino kennt: Bitte schalten Sie Ihre Handys aus und seien Sie für eine Weile unerreichbar!

Gastdirigenten und Solist:innen, so die Ankündigung des neuen Intendanten Hans-Georg Hofmann, bekämen um der Nachhaltigkeit willen keine Blumensträuße mehr überreicht. Hmm … Wie wär’s im Zuge des neuen Namens stattdessen mit einem Bodensee-Bildband, einer Flasche Spitalwein oder einem Korb Bioäpfel?

Chefdirigent Gabriel Venzago betritt wie schon im Abschlusskonzert der letzten Saison das Podium nicht mehr von hinter Bühne, sondern aus dem Zuschauerraum heraus. Und findet nach eineinhalb Stunden schweißtreibenden Dirigierens noch die Kraft, sich unter das abgehende Publikum zu mischen, diese oder jene Frage zu beantworten und Besucher:innen mit einem Lächeln zu verabschieden.

„Fasten Seat Belt“ – auf dem Weg nach Mainz

Das Konzert stand unter dem Motto „Fasten Seat Belt“. Sofern er sich nicht den Unzuverlässigkeiten der Deutschen Bahn ausliefern will, wird Gabriel Venzago den Sicherheitsgurt künftig öfters anlegen müssen. Der gebürtige Heidelberger hat ab der kommenden Spielzeit nämlich einen neuen Job als Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz und wird damit zugleich Generalmusikdirektor am dortigen Staatstheater. Das ermöglicht ihm wie auf früheren Karrierestationen in Salzburg und München auch wieder Opernproduktionen.

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Gabriel Venzago

Venzagos Vertrag in Konstanz läuft eigentlich noch bis zum Sommer 2027. Mit seinem unkomplizierten, charismatischen Auftreten eroberte er schnell die Herzen des hiesigen Klassikpublikums. Auch aus dem Orchester dringt kein Murren nach draußen, man scheint mit dem Chef zufrieden zu sein. Droht Konstanz nun seinen seit langem beliebtesten Maestro nach gerade zwei Jahren schon wieder zu verlieren?

Gabriel Venzago beschwichtigt und versucht, die besorgten Gemüter zu beruhigen. Er habe in Mainz so verhandelt, dass er weiter parallel Chefdirigent in Konstanz bleiben könne. Der neue Intendant Hans-Georg Hofmann springt ihm bei: „Er hat Energie für mindestens zwei Personen.“ Und hat dies auch bewiesen, als er nach dem vorzeitigen Abgang von Intendantin Insa Pijanka notgedrungen auch in die Geschäftsführung des Eigenbetriebs Orchesterkultur und Musikbildung Konstanz (OMK) einstieg.

Die hehre Absicht sei dankend vernommen. Ob Venzago die Doppelbelastung tatsächlich bis Vertragsende durchhalten wird, muss sich noch zeigen.

„Es war einen Versuch wert.“ Wirklich?

Zurück ins Konzert. Die Herren Musiker legten nach der Pause ihren Sakko ab und spielen im Hemd. „Gesundheit geht vor“, entschuldigte Intendant Hans-Georg Hofmann. Damit einher ging, dass während der Pause die Türen zur Seeterrasse nicht geöffnet werden durften und den Konzertbesucher:innen der Freigang samt Seeblick ebenso verwehrt blieb wie die das Saalklima abkühlende Querlüftung. Das vor allem für die Musiker und das Publikum hitzige Raumklima war also nicht etwa Beethovens Erster oder Ravels „Bolero“ geschuldet, sondern außermusikalischen Umständen. 

seemoz vermutete hier zunächst eine willkürliche Schikane des Hausherren „Konzil Restaurant & Event GmbH“, die das Konzil von der Stadt gepachtet hat. Und musste sich eines Besseren belehren lassen. Hintergrund war nämlich die in die Decke des Konzertsaals eingebaute Lüftungsanlage. Die darf während des Konzerts nur mit halber Kraft arbeiten, um die leisen Passagen nicht mit ihrem Betriebsgeräusch zu stören. In der Pause soll sie dann mit voller Kraft kalte Luft in den Saal blasen. Dazu müssen wie bei jeder Klimaanlage die Außentüren geschlossen bleiben.

Orchesterfoto Fotograf Alberto Venzago Jul 2024

Soweit die Theorie. In der Praxis hat es nicht funktioniert und die Temperatur im Saal stieg zum Konzertende auf 23,8 Grad Celsius. Dazu schreibt uns Deff Hauff, Chef der Konzil GmbH: „Es war einen Versuch wert. Ich muss allerdings einräumen, dass es keinen großen Unterschied gemacht hat, sodass wir nach Rücksprache mit der Philharmonie bei den nächsten Konzerten die Türen wieder öffnen werden.“

Konzertbesuchende können also aufatmen und künftig in den Pausen wieder Frischluft und Ausblick genießen. Und die Herren Musiker wieder althergebracht im Jackett aufspielen.

Klimawandel als „Zukunftsmusik“

Vielleicht war das Schwitzen im Konzil aber für das Ensemble nur die Probe zum neuen Format „Zukunftsmusik“, mit dem sich das Orchester mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinandersetzen will. Unterstützt werden die Pläne von der Exzellenz-Förderung des Bundes, die das klamme Budget der Bodensee Philharmonie um satte 400.000 Euro aufpeppt. Die Exzellenz-Förderung will den ausgewählten Orchestern Freiräume verschaffen „für die Ansprache neuer Zielgruppen und die Auseinandersetzung mit wichtigen gesellschaftlichen Themen wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Diversität“, so Kulturstaatsministerin Claudia Roth.

Die Bodensee Philharmonie geht gar noch einen Schritt weiter und will im Format Zukunftsmusik auch erforschen, welche „zusätzlichen Qualifikationen […] die OrchestermusikerInnen der Zukunft benötigen, um gesellschaftsrelevant zu bleiben.“

Als erste Themen stehen vom 5. bis 12. Oktober Klimawandel (Schwitzen!) und Nachhaltigkeit auf dem Programm. Das Orchester verspricht „eine Woche voller Aktionen, Projekte und Musik, die die Bedeutung von Nachhaltigkeit auf kreative und einprägsame Weise unterstreichen.“

Geplant sind etwa eine vom BUND geleitete Exkursion durch den Hockgraben mit Musikbegleitung; ein Klimasinfonie-Orchester, bei dem alle mitmachen können, die ein Instrument beherrschen; gemeinsames Kochen mit anschließender Tafelmusik. Und als Highlight am 12. Oktober ein auch überregional beachtetes „Upcycling Pur Xperiment“-Konzert in der Kantine der Entsorgungsbetriebe – die Süddeutsche Zeitung machte daraus „ein Konzert auf einer Mülldeponie“.

Text: Ralph-Raymond Braun
Fotos: Screenshot aus einer Broschüre der Bodensee Philharmonie, © des Originals: Johannes Raab / Der Dirigent – Website Gabriel Venzago, © Nikolaj Lund / Das Orchester – Website Bodensee Philharmonie.

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