20240920 Trabert (c) Reile

Warum Armut krank macht – Ansätze einer solidarischen Hilfe

3 Kommentare

20240920 Trabert (c) Reile
Gerhard Trabert (re.) bei seinem Vortrag im Treffpunkt Petershausen, © H. Reile

Am 20. September hielt Prof. Dr. Gerhard Trabert einen bemerkenswerten Vortrag zum Thema „Armut“ auf dem gut besuchten Sommerfest der Konstanzer Linken. Bei der letzten Europawahl kandidierte der engagierte Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie für die LINKE. Unser Autor beleuchtet im Folgenden Traberts Anregungen für eine gerechtere Welt.

Wie hängen Armut und Gesundheit zusammen? Steht nicht jeder Person in einem so reichen Land wie Deutschland eine grundsätzliche medizinische Versorgung zur Verfügung? Sind nicht alle Menschen in diesem Land so mit Ressourcen ausgestattet, dass sie sich einen gesunden Lebensstil leisten können? In Zeiten, in denen die Hetze und Häme gegen „die da unten“ immer mehr an Fahrt gewinnt, ist es wichtig, Stimmen wie die von Gerhard Trabert zu hören, der sich in Wort und Tat für von Armut und Ausgrenzung betroffene Menschen einsetzt. Er war zu Gast beim Sommerfest, das die Linke im Kreis Konstanz und die Linke Liste Konstanz im Treffpunkt Petershausen ausrichteten.

Im Zentrum linker politischer Arbeit steht der Mensch und auch konkrete Hilfe: Es geht darum, auf die Menschen zuzugehen, sie in ihren Quartieren und Lebenssituationen aufzusuchen und ihnen dabei mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen. Gerade dieser Respekt ist es, der zunehmend in der gesellschaftlichen und politischen Debatte verloren geht: Menschen suchen sich ihre Biografien nicht aus, niemand will in Armut leben. Hilfe heißt hier: Neben Unterstützung Hilfe zur Selbsthilfe. Betroffenen eben den Mut zu machen, auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen und ihre Talente zu nutzen, ihren Interessen nachzugehen und Begabungen zu erkennen: Das ist der Ansatz einer konstruktiven Sozialarbeit, die Menschen langfristig hilft. Existenzieller Druck, Abwertung und Verunsicherung befördern nur die Spirale der Demotivation.

Ausgrenzung durch herabsetzende Begriffe

Wir waren bereits beim Respekt: Die Debatte um die sogenannten Totalverweiger:innen ist eine Nebelkerze, die ein marginales Problem aufbläst und eine Diffamierungskampagne auf eine ganze, heterogene Gruppe von Menschen überträgt. Menschen, die erwerbslos oder einkommensarm sind, wird so aber nicht geholfen. Die Ausgrenzung und Entwürdigung fängt eben schon bei den Worten an, die wir wählen, wie wir mit und über Menschen kommunizieren. So wird ein Klima der Angst und Verunsicherung geschürt, was nur dazu dient, sozialchauvinistische Abwehrreaktionen zu fördern. In den Debatten, die wir führen, bedarf es keiner populistischen Zerrbilder, sondern Fakten, die schon aufrüttelnd genug sind. So liegen die Gründe von Armut nicht an einem schlechten Charakter, Prunksucht oder ähnlichem, sondern schlicht an Faktoren wie Erwerbslosigkeit oder Krankheit – wobei in der Bundesrepublik mittlerweile Krankheit der Hauptgrund ist – was schon ein Skandal für sich ist. Diese Umstände haben ihre Ursache ebenso wenig in individuellen „Fehlern“ wie Weiblichkeit, migrantische Herkünfte oder das Alleinerziehen, die ebenfalls Armut begünstigen. Es sind die gesellschaftlichen Strukturen, die diese Armut produzieren und verfestigen.

Jedes fünfte Kind wächst in diesem Land in Armut auf: Das ist kein Bauchgefühl, sondern ein Fakt, den zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband beständig anmahnt und auf politische Initiativen drängt. Die minimale Erhöhung des Kindesgeldes, die die wirklich Betroffenen eben nicht erreicht – wird das Kindergeld doch angerechnet –, ist mindestens so enttäuschend wie das Implodieren des Projektes „Kindergrundsicherung“. Andere Studien besagen, dass sich Kinder und Jugendliche von dem im Bürgergeld angesetzten Betrag von 3,50 Euro pro Tag schlicht nicht gesund ernähren können. Ein Blick auf die Preise von Obst und Gemüse legt diese Erkenntnis durchaus nahe. Wenn nun die Regierung sparen will, indem sie die Regelsätze des Bürgergeldes nicht anheben und die Leistungen für Asylbewerber:innen, die eh schon niedriger sind als das ExistenzMINIMUM, sogar noch senken will, dann zwingt sie Menschen in die Nahrungsarmut. Menschen können sich keine guten Lebensmittel leisten, was wiederum Folgen für ihre Gesundheit hat. Ein Teufelskreis, der umso perfider ist, da die Gesellschaft den von Armut betroffenen Menschen wiederum den Vorwurf macht, sie hätten ihr Leben nicht im Griff.

Bei diesem staatlichen Versagen setzt soziales Engagement an, welches das Elend nicht mehr ertragen will. Ein Beispiel sind die „Tafeln“, deren Arbeit einerseits Menschen hilft, mit ihren minimalen Ressourcen zurechtzukommen und nicht zu hungern, die aber andererseits die Misere und das Vorenthalten staatlicher Fürsorge am Laufen halten. In diesem Dilemma steht auch die medizinische Grundversorgung von Menschen, denen diese nicht zur Verfügung steht. Vermutlich ist es im Alltag schwer vorstellbar, wie man aus diesem System herausfallen kann, aber im Einzelfall geht es recht schnell: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Schulden, Wohnungslosigkeit … Wenn nun aber freiwillige Helfer:innen diese Grundversorgung übernehmen und den Menschen helfen, entbinden sie gleichzeitig den Staat aus seiner Verantwortung, der gleichzeitig die Würde des Menschen in den ersten Rang seiner Verfassung stellt. Helfen muss man trotzdem, und Nahrung verteilen auch. Wichtig ist es, die fehlerhaften Strukturen nicht aus dem Blick zu verlieren und anzugehen, die die Ursache für den Hunger und die fehlende Gesundheitsversorgung sind.

Eine Bürgerversicherung für alle

Eine Möglichkeit wäre, endlich eine Krankenversicherung für alle zu beschließen, die niemanden außen vor lässt. Schluss mit der Zweiklassenversorgung: Ein Satz, den vielen Menschen unterschreiben können sollten, die auf der Suche nach einem Termin für eine Fachärztin sind. In einem Staat in der Mitte Europas, in dem Armut immer noch dazu führt, dass die Betroffenen statistisch früher sterben, ist die Ausweitung der Gesundheitsversorgung schlicht geboten. Und entgegen der Skepsis zu Fragen der Finanzierung: Wenn wir uns allein die Zahlen von Erbschaften und Schenkungen in Baden-Württemberg im letzten Jahr anschauen, dann können wir gewiss sein, am Geld kann es nicht liegen – sondern an einem Steuersystem, das Reichtum belohnt und über die Generationen fixiert.

Hier ist nicht der Platz, um all den Vorurteilen und Zerrbildern gebührend zu begegnen, mit denen erwerbslose Menschen oder Migrant:innen alltäglich konfrontiert sind. Allein die Quote der sozialsteuerpflichtigen Erwerbstätigkeit jener Menschen, die im Symboljahr „2015“ nach Deutschland kamen, führt viele Diskussionen ad absurdum. Nein, diese Menschen nutzen Sozialsysteme nicht aus, sie stabilisieren diese. Von allen Geflüchteten, die 2015 ankamen, sind heute 65 Prozent in Arbeit, bei den Männern sind es sogar über 80 Prozent. Dem Rechtsruck, der die medialen Debatten und die Politik bis hin zu den Grünen antreibt, ist dies aber egal.

Wir sollten diesen Entwicklungen mit einer faktenbasierten Kommunikation, mit Empathie und einem offenen Zugehen auf die Betroffenen und nicht zuletzt mit einem Drängen auf die Veränderung der ursächlichen Strukturen begegnen, so das Plädoyer von Gerhard Trabert.

Text: Tobias Braun; Bild © H. Reile

3 Kommentare

  1. Ingeborg Heidl

    // am:

    Welch eine Biographie und was für ein Lebenswerk!

    Herzlichen Dank an die LINKE, Herrn Prof. Trabert als Gast und Vortragsredner nach Konstanz in die Provinz einzuladen.
    Es ist hier nicht genügend Platz, ihm und seiner Organisation für seinen Einsatz für Menschlichkeit ehrfürchtig und gebührend zu danken!
    Das Spendenkonto ist auf seiner Homepage zu finden :-)

    Der Staat kommt seiner verfassungsmäßigen Verpflichtung: Art. 2 Abs. 2 GG: Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit immer weniger nach. Er zieht sich aus der Verantwortung zurück.
    Immer mehr kleinere Kliniken und Notfall-Ambulanzen und Bereitschaftspraxen werden AUS PROFITGRÜNDEN GESCHLOSSEN – auch hier bei uns im Süden !
    So können sogar Menschen, die nicht primär in prekären Verhältnissen leben, in GROSSE GESUNDHEITLICHE NOT geraten – und dies in einem der reichsten Länder der Welt.
    Schämen Sie sich, Herr Lauterbach + sämtliche CEO’s und Aufsichtsräte der schon geschlossenen Kliniken! Und „schwärmen“ Sie nicht dauernd von Ihren Groß- und Zentralkliniken, die wir angeblich brauchen…! Wir brauchen medizinische Hilfe nah bei den Menschen!

  2. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    Danke für den Bericht. Vielen ist der Zusammenhang nicht klar oder er wird verdrängt.
    Gesunde Ernährung wird bei einem schmalen Geldbeutel eher zum Problem. Wenn die Zähne schlechter werden, wird es nochmal problematischer. Da sind die, die nur ziehen lassen können, die mit Lücken oder vielleicht mit einem schlecht sitzenden Gebiss zurecht kommen müssen und die, die sich Implatate oder Kronen leisten können. Das schlechtere Kauen führt dann wiederum zu gesundheitlichen Folgen. Es ist ein Teufelskreis, in dem viele auch nach langer Erwerbstätigkeit im Niedriglohnsektor spätestens mit der Rente landen.

  3. Janosch Tillmann

    // am:

    Eine Auseinandersetzung mit der sozialen Situation, als wesentlichem Marker, für die Gesundheit finde ich einen wichtigen Faktor. Das Thema wird viel zu wenig beleuchtet.

    Ein Beitrag, zu einem guten Gesundheitssystem, wäre in jedem Fall das Modell einer Versicherung, in die alle einbezahlen. Das sollte aber nicht nur die Krankenversicherung betreffen. Auch in Rente, Arbeitslosenversicherung etc. sollten alle einbezahlen: Selbstständige, Politiker, Beamte. Denn am Ende sind arme Rentner ja auch wieder mehr von gesundheitlichen Problemen betroffen, als reiche Rentner…

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert