Mit ihrem Programm „Komm, lass noch mal leuchten“ komponierten Wortpoetin Franziska Schramm und Kontrabassist Marc Jenny im Apollo Kreuzlingen einen Abend mit Witz, Charme und Erotik.
Franziska Schramm ist Poetin, sie nennt sich selbst „Miss Poesie“ und huldigt den Worten, die ihr größter Reichtum sind. In ihrem Programm „Komm, lass noch mal leuchten“ tritt sie mit dem Züricher Kontrabassisten Marc Jenny als Duo auf. Im Rhythmus mit den Tönen des Kontrabasses gibt es hier eine Ode an die Sprache – „Perlen kann man kaufen, Sprache nur verstehen.“ Bemerkenswert ist dabei, dass die Konstanzer Autorin die Sprache auf zweierlei Arten beherrscht.
Zum einen verfasst sie Texte mit einer Mischung aus spitzbübischem Witz und gleichzeitig einer Tiefe, die unter die Haut geht. Zum anderen aber ist sie auch in der Lage diese Texte in Perfektion auf die Bühne zu bringen, da sie als Poetry-Slammerin einen wahnsinnig guten sprachlichen Ausdruck hat.
Geschichten vom Leben, Scheitern und Gewinnen
So erzählt sie ihre Geschichten über das Nicht-Wandern, von einer jungen Frau, die ihre Pilgerreise heimlich abbricht und sie stattdessen von der Couch aus in den Sozialen Netzwerken weiterinszeniert. Von einem jungen Mann, der als Schulkind gemobbt wurde, weil er zu dick war und jetzt tanzt, als würde er „die Sterne von innen berühren“. Es ist ein Blick auf die Kindheit und ihre Wunden, die wir alle mit uns herumtragen – ein Text, der sehr rührend an die Verantwortung der Erwachsenen appelliert.
Dann präsentiert Schramm eine Liebeserklärung an ihre Wahlheimat, die Stadt Konstanz, in der sie so gekonnt die Stimmungen einfängt und mit viel Herz und Witz die einzelnen Ecken beleuchtet. Aber auch von der Traurigkeit erzählt die Poetin, und von der Freundschaft, die diese schweigend erträgt ohne den Impuls zu verspüren, sie in den aufgesetzten Happy-Life-Vibes von Instagram zu ertränken.
Misses Gott gestaltet die menschlichen Genitalien
Und am Ende präsentiert Schramm einen Text aus ihrer Publikation „Sextexte“, in dem sie beschreibt, wie Misses und Mister Gott bei ihrem Großprojekt, der Schöpfung der Menschen, deren Genitalien gestalten. Was zu Beginn klingt wie ein Witz auf dem Schulhof, entfacht durch die poetische Sprache und die liebevolle Betrachtung der Autorin schnell eine tiefe emotionale Berührung. Misses Gott designt die Genitalien in allen Farben und Formen mit dem Gestaltungsprinzip der ultimativen Freude. Sie sollen toll aussehen, sich toll anfühlen, Spaß machen und Lust bereiten.
Es ist eine Hommage an die Vielfalt und gleichzeitig an die individuelle Einzigartigkeit, ein Fest der Körperformen und ihrer Diversität. Immer mehr gerät Misses Gott in Ekstase und verteilt ihre Kreativität großflächig auf dem Zeichentisch. Mister Gott, der immer wieder ein paar Einwände und Fragen aufbringt, betrachtet die Werke, als Misses Gott schläft. Er verfügt über die Fähigkeit in die Zukunft zu blicken und er spürt all das Leid, das mit diesen Körperteilen einhergeht. Es ist wie ein Schlag in die Magengrube, wenn man begreift, was jahrtausendelang kulturhistorisch mit diesen bunten Kunstwerken geschehen ist. Und doch siegt am Ende des Textes die Hoffnung, mit der Schramm ihr beseeltes Publikum in die Nacht entlässt.
Kontrabassklänge im Dialog mit den Texten
Im Ohr klingen noch die Töne des Kontrabasses von Marc Jenny, der die Texte in einen Dialog mit seinen selbstkomponierten Stücken setzt. Einen Kontrabass ohne Orchester oder Jazz-Band zu hören, ganz alleine, pur und nackt, ist ein Erlebnis und Marc Jenny holt aus seinem Instrument alles heraus, was in diesem ausladenden Klangkörper steckt.
Er bereitet einen Klangteppich aus für die Wortkunst von Franziska Schramm und erzählt zwischen den Texten der Sprachkünstlerin in einer anderen Form Geschichten von nah und fern. Die Klänge ziehen in orientalische Länder und wirken wie eine Zugreise nach Marokko, dann tönen sie wie ein Schweizer Bergsommer mit Kuhglocken, Jodelgesang und tosendem Wildbach. Die Stücke sind Eigenkompositionen und Improvisationen: sehsüchtig und rau, verspielt und träumerisch, mal sehr laut, mal ganz still.
Experimentelle Klänge von zart bis wild
Marc Jenny, der ursprünglich E-Bass spielte und sich im Alter von 30 Jahren noch dazu entschloss, Kontrabass zu studieren, bearbeitet sein Instrument von ganz unten, über die Ränder tastend, suchend, als würde er es zum ersten Mal berühren. Seine Hände ein Schattenspiel. Und dann spielt er – vier Saiten, fünf Finger, ein Bogen – als hätte er in seinem Leben nichts anderes getan.
Er wiegt sich zusammen mit dem Klangkörper hinein in die Töne, spickt Wäscheklammern auf die Saiten und rastet irgendwann vollständig aus, scheppert sein Equipment über das rotbraune Holz – es wirkt, als wäre er mit seinem Instrument im Streit. Er piesackt es, drangsaliert es, lockt alles aus ihm heraus, nur um sich eine Minute später wieder mit ihm zu versöhnen, leise zu werden und zart.
Das Zusammenspiel der Worte mit den Tönen des Kontrabass‘ erinnern an ein paar Zeilen des Gedichtes „Im ersten Licht“ von Karin Kiwus: „Wenn ich dann über mir in den Lüften / weit und feierlich mich dehne / In den mächtigen Armen meiner Toccata / Und wenn du dann neben mir im Bett / Deinen ausladenden Klangkörper bewegst (…)“ Genauso wiegt sich der Körper des Instruments hinein in eine laue Spätsommernacht, weit und feierlich dehnen sich die Töne aus und verschmelzen mit den Worten der Poetin, die umarmt werden von der ausgebreiteten Klangwelt.
Ein sehenswertes Duett, diese Verschmelzung von Lesung und Konzert zu einem „Leszert“, dieses Wettleuchten von Text und Ton, diese Connection von Literatur und Musik!
Samstag, 14. September, 20 Uhr, Apollo Kreuzlingen, Konstanzer Straße 32. Eintritt: Kollekte
Text: Veronika Fischer
Foto: Website Franziska Schramm
Schreiben Sie einen Kommentar