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„Oberschwaben ist nicht Meck-Pomm“

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Im Glashaus an der Ravensburger Karlstraße sitzen die Führungskräfte, wenn sie nicht gerade in Berlin oder Schwerin sind. Foto: Joachim E. Röttgers

Eine eingeflogene Wessi-Truppe aus dem Osten krempelt die Schwäbische Zeitung um. Das Traditionsblatt rutscht nach rechts, wer kann, der geht, und das Publikum fragt sich, was das soll. Ein Hinweis findet sich auf dem Flugplatz von Mengen.

Er sei ein ganz besonderer Mensch gewesen, schreibt die Schwäbische Zeitung über Jürgen Mladek, ihren verstorbenen Chefredakteur. Ein „Querdenker und Anarchist“, ein Unikat, der Mutigsten einer, der dem Mainstream-Journalismus die Stirn geboten habe. Das klingt so gar nicht nach SchwäZ, der Zeitung für „Christliche Kultur und Politik“.

Mladek selbst, gebürtiger Franke, sagte einmal, er fühle sich wie auf einer „rebellischen Insel im Meer der Einförmigkeit“. Danach haben die Interviews mit AfD-Spitzenkräften, die ein ähnliches Eiland bewohnten, zugenommen. Die Intensität der Nachrufe im rechten Milieu ebenso. Die Junge Freiheit verneigte sich vor dem „glorreichen Halunken“, dem „einsamen Cowboy“, der, unverstanden von der eigenen Zunft, in den Sonnenuntergang reitet. 56-jährig starb er am 10. Juli 2024 auf dem Weg zu einer Autowerkstatt in Ravensburg. Herzversagen.

Der Rückgriff auf den Verstorbenen ist notwendig, weil ohne ihn nicht zu verstehen ist, warum innerhalb und außerhalb des traditionsreichen Monopolblatts von einem Rechtsruck die Rede ist. Mladek ist 2022 vom Nordkurier in Neubrandenburg gekommen, den sich die Schwäbische Zeitung ein Jahr zuvor einverleibt hatte. Dort war er Chefredakteur und hatte sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt gesehen, rassistische und menschenverachtende Leserbriefe zu veröffentlichen, sprich eine „ungefilterte AfD-Plattform“ zu bieten, so das alternative Magazin Katapult. Gekontert hat er das meistens mit dem Hinweis, Journalismus nicht mit einem „Haltungs-Disclaimer“ zu betreiben, sondern der Meinungsvielfalt zuzuneigen. Fortan lautete das Mantra, das er mit in den Süden nahm: Öffnung des Meinungskorridors. Wohin genau sagte er nicht.

Geholt hat ihn Lutz Schumacher, 56, sein Vorgänger beim Nordkurier. Der diplomierte Betriebswirt, bekannt geworden durch lustige Bücher über die Bahn („senk ju vor träwelling“), war inzwischen zum Big Boss im Schwäbischen Verlag aufgestiegen, der für sich in Anspruch nimmt zu wissen, wie man in der notleidenden Branche wieder Geld verdient.

Als Geschäftsführer mit weitgehend uneingeschränkter Machtbefugnis wacht der Niedersachse seit 2020 über die SchwäZ und den Nordkurier sowie über 130 weitere Firmen, die Radio, Fernsehen, Filmrechte, Post, Reisen und Sonstiges (siehe Kasten) im Regal haben. Einen Tag nach dem Ableben seines Chefredakteurs verkündete er: Die „Mission Mladek“ geht weiter.

Rasend schnell

Die Schwäbische Zeitung (Auflage 138.000) und der Nordkurier (43.000) sind die Flaggschiffe des Schwäbischen Verlags, der seinen Sitz in Ravensburg hat. Die Gruppe, unter deren Dach sich 130 Firmen versammeln, hat 3800 Mitarbeiter:innen und weist einen Jahresumsatz von 250 Millionen Euro aus. Der größte Anteilseigner ist Erich Fürst von Waldburg-Zeil. Geschäftsführer Lutz Schumacher hat das Unternehmen auf scharfen Wachstumskurs getrimmt, zuletzt durch den Kauf des „Zollern-Alb-Kuriers“, der für große Aufregung im Südwesten geführt hat.

Schumacher sagt, im Vergleich zu anderen Verlagen seien sie „rasend schnell“, aber noch nicht schnell genug. Ob das gut geht, weiß der Himmel.  (jof)

Putzige Dialoge mit AfD-Spitzenkräften

Nun ist darunter kein Ausflug nach Lourdes zu verstehen, eher ein Kreuzzug gegen alle, die in einem vermeintlichen Gesinnungskartell ihre Wokeness zur Wahrheit erheben. In den Augen der in Oberschwaben gelandeten Nordlichter sind das mit großem Vorsprung die Grünen und ihre publizistischen Heerscharen in den Pressehäusern und öffentlich-rechtlichen Anstalten. Gendern etwa kann Schumacher gar nicht leiden und will es auch in seinem Blatt nicht sehen. Besser passen die prominent platzierten Interviews mit Hans-Georg Maaßen, dem Vorsitzenden der rechtskonservativen Werteunion, sowie den AfD-Spitzenfiguren Maximilian Krah und Tino Chrupalla, mit denen putzige Dialoge geführt werden. SchwäZ: „Was würde passieren, wenn die AfD regiert?“ Antwort Krah: „Die Leute würden aufatmen. Wir machen, was ihnen gefällt.“ Außerdem erfährt man noch von ihm, dass Björn Höcke ein „sehr angenehmer Gesprächspartner“ sei.

Das Krah-Interview hat Jan David Sutthoff gemacht, Experte für Klickzahlen. Der 37-jährige Niedersachse ist seit diesem Jahr für die digitalen Plattformen in der SV Gruppe (Schwäbische Zeitung, Nordkurier, Schweriner Volkszeitung, Zollern-Alb-Kurier) verantwortlich. Er war zuletzt Chefredakteur bei der rechtskonservativen Plattform Nius von Julian Reichelt (früher Bild), davor hat er bei der Werbeagentur Scholz & Friends das Bundesverkehrsministerium betreut. In einem Interview mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fragt er allen ernstes, ob „es ohne eine Zusammenarbeit mit der AfD jemals wieder eine bürgerlich geprägte Regierung geben“ würde. Linnemann antwortet: „Vorsicht. Die AfD ist in Teilen rechtsextremistisch.“

Mit Chrupalla gesprochen hat Philippe Debionne, Jahrgang 1977. Der in Berlin lebende Journalist wird zum 1. September Chefredakteur beim Nordkurier. Er sei ein „Vollblutjournalist“, sagt Geschäftsführer Schumacher, der „auch vor unbequemen Fragen nicht zurückschreckt“. Debionne ist häufiger Gast im Internetradio Kontrafunk, das sich als Gegenprogramm zum „linksgrünen Medienkartell“ versteht. Gerne mit Alice Weidel, Beatrix von Storch oder Peter Hahne, gepriesen von Björn Höcke als „hochwertige Alternative“ zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Der neue Chefredakteur will Brandmauern einreißen

Chefredakteur bei der Schwäbischen Zeitung wird Gabriel Kords. Mit seinen 35 Jahren ist er der Wichtigste auf Schumachers Schachbrett. Derzeit amtiert er als Frontmann beim Nordkurier, in Ravensburg soll er am „Editorial Board“ die journalistische Gesamtverantwortung für sämtliche Titel der SV Gruppe übernehmen. 

In seinem Kommentar zur Kommunalwahl in Neubrandenburg schreibt Kords: „Das Konzept der Brandmauer ist bereits gescheitert, es erhöht den ‚Schaden‘ – wenn hohe AfD-Wahlergebnisse denn wirklich einer sind – bloß noch.“ Seine Forderung: Die Brandmauern müssen fallen, die AfD-Vertreter einbezogen werden. In Neubrandenburg ist die AfD die stärkste Kraft. Mit 21,5 Prozent.

Ebenfalls 35, aber noch ein gutes Stück forscher, ist Armin Petschner-Multari, der neue Kolumnist. Er hat vor drei Jahren in Berlin das rechte Internetportal The Republic gegründet, das den Kampf für ein „bürgerliches Deutschland“ und gegen den „Linksdrift“ zu seiner Mission erklärt. Im Auftritt, urteilte der Deutschlandfunk, erinnere es an Webseiten aus dem „Trump-Umfeld“, im liberalen CDU-Lager sprach man von „AfD-affinem Ramsch“. 

Die Vita von Petschner-Multari verschweigt die SchwäZ. Unter der Kolumne wird der Social-Media Stratege von der CSU als Teilzeit-Berliner geführt, der besonders gerne die „links-grüne Avantgarde“ ins Visier nehme.

Bleibt noch Robin Halle im „Editorial Board“, dessen Name dem Publikum vielleicht vertraut ist. Viele Jahre hat der 54-Jährige die Anzeigenblätter des Verlags geleitet, Freikarten und Gewinnspiele ausgelobt, die örtliche Prominenz betreut, für Miss-Wahlen im Bikini plädiert und darüber sein sonniges Gemüt nie verloren.

Jetzt als Mitglied der Chefredaktion, zuständig für zentrales Themenmanagement, fordert er, das Cannabis-Gesetz zu canceln und die Rundfunkgebühren zu kürzen. Der gelernte Sportjournalist sei der Einzige in der eingeflogenen Führungsriege, der noch empathische Züge erkennen lasse, heißt es in der Redaktion. Für ihren Seelenfrieden dürfte das zu wenig sein.

Flughafen Mengen © Fotos: Aktug Ates, GFDL 1.2, Link, Kontext. Montage: Kontext
Der Flugplatz von Mengen ist das Tor zur Welt. für den Fürsten (Hangar mit Krönchen) und die „Schwäbische Zeitung“. Fotos: Aktug Ates, GFDL 1.2, Link, Kontext. Montage: Kontext

Redaktion verliert die Identität, dafür gibt es einen Jet

Neben dem Rutsch nach rechts hat sie jetzt auch noch ein Sparprogramm zu verkraften. Es gebe einen „Personalüberhang“, somit einen „Bedarf an Reduktion“, teilt Geschäftsführer Schumacher der Belegschaft mit und ermuntert sie, bis zum Jahresende über eine Kündigung nachzudenken. Dafür soll es eine Austrittsprämie geben, konkret: 0,3 Gehälter pro Dienstjahr. Viele nehmen das Angebot an, bestätigt das Unternehmen und begrenzt das Angebot schon auf Ende September. Weg sind bereits die Stuttgarter Korrespondentinnen, die Lokalchefin in Lindau (wo sich gerade eine ganze Redaktion auflöst) und der Chef vom Dienst Digitales.

Der Grund zu gehen ist nicht schwer zu finden. Es ist der drohende Verlust von Heimat und Identität, das Verschwinden einer Zeitungskultur, die konservativ, aber nicht reaktionär war, die einen Chefredakteur Hendrik Groth ermöglichte, der den liberalen Grandseigneur gab, und wo Redakteurinnen sich nicht einer Macho-Truppe – alles Männer – gegenüber sahen, der die dicke Hose wichtiger erscheint als journalistische Standards.

Ganz nebenbei: Einen Business-Jet gab es damals auch noch nicht. Der steht, wahlweise eine Cessna XLS + (7 Passagiere, Geschwindigkeit 815 Stundenkilometer) oder eine Embraer Phenom 300 (8/963) auf dem Flugplatz von Mengen zur Verfügung, 50 Kilometer von Ravensburg entfernt. Dort hat die Firma DAS Private Jets GmbH ihren Sitz, gleich neben dem Hangar des Fürstenhauses Hohenzollern, das ebenfalls eine Embraer bewegt.

Hier chartert die Schwäbische ihre Düsenmaschinen, um insbesondere Führungskräften eine zügige Reise nach Berlin und zurück zu ermöglichen. Mit Einverständnis des Betriebsrats im Übrigen, der, wie man hört, Bedenken nur wegen der CO₂-Emissionen hatte. Zur Kundschaft der DAS gehören auch George Clooney und Rammstein. Im Tower berichtet die Lotsin, dass hier alles fliege. Auch Störche.

Und plötzlich ist Frommlet kein Kolumnist mehr

Doch zurück zum Fußvolk. „Oberschwaben ist nicht Meck-Pomm!“ Mladek und Kameraden hätten einfach nicht kapiert, dass die Menschen hier nicht auf Krawall gebürstet seien, erzählen sie in der Redaktion, die liberale Gesellschaft in Ravensburg wechsle bald die Straßenseite, wenn sie ihrer ansichtig würde.

Die AfD stellt nicht einen Stadtrat, die grüne Partei stellte bis zur Jahresmitte die stärkste Fraktion, die Industrie (ZF, Ravensburger Spiele, Vetter Pharma) ist weltweit unterwegs, und Buchhändler Michael Riethmüller („Ravensbuch“) aus der Sippe Osiander ist entsetzt. Das Anschmiegen an die Rechtsradikalen nennt der 70-Jährige einen „Schwenk zum Sagbaren“, die geschürte „Angst vor dem Fremden“ lehnt er ab, in der importierten Führungscrew sieht er – obwohl kein einziger Ostdeutscher dabei ist – eine „Machtübernahme aus dem Osten“ und Anlass genug, seiner Lust, das Abo nach dreißig Jahren zu kündigen, freien Lauf zu lassen. Am 1. Oktober hat er einen Autor zu Gast, der dazu viel zu sagen hat: Wolfram Frommlet kommt mit seinem neuen Buch „Johann Sebastian Bach geht über den Sambesi“.

Der 79-Jährige ist eine Institution in Ravensburg. Linker Journalist seit jeher, Dramaturg, Regisseur, Friedensfreund, Kämpfer für Zivilcourage, Kontext-Autor – und Kolumnist bei der Schwäbischen Zeitung. Letzterer war er bis vor Kurzem, bis man ihm bedeutete, man brauche seine Texte nicht mehr. Nach 15 Jahren und 366 Kolumnen. Eine Begründung gab es keine. 

Und jetzt fragt sich Frommlet, ob die Öffnung des Meinungskorridors mit einer Schließung nach links einhergeht, ob das der Anfang vom „Wechsel“ ist, ob er aus politischer Überzeugung geschasst wird oder ökonomisches Kalkül dahinter steckt?

Klicken soll es auch bei den Nationalkonservativen

Womöglich ist es von allem etwas. Tatsächlich ist die neue Führung der Ansicht, dass ein „erkleckliches Milieu bis zum Nationalkonservativen“ noch nicht bedient wird. So sagt es Unternehmenssprecher Michael Seidel, 58, der vorher Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung war und heute „Head of Communication“ ist, gegenüber Kontext und schließt dabei ein, dass auch die Verleger, unter ihnen Erich Fürst von Waldburg-Zeil, nach anfänglichem Fremdeln, jetzt „voll überzeugt“ seien. 

Man könnte also von einer Erweiterung des Korridors sprechen, wenn man ihm das Versprechen des Ersten Journalisten im Haus, Gabriel Kords, abnimmt. Es gebe „keinen insinuierten Kurswechsel“, er wolle die „gesamte Breite“ der Gesellschaft abdecken, beeilt sich der künftige Ober-Chefredakteur zu sagen.

Das vorläufige Schlusswort soll freilich Ober-Zampano Schumacher gehören. Auf Anfrage von Kontext versichert er, dass niemand bei ihnen „Sympathie für die AfD“ empfinde. Allerdings gebe es eine größere Fraktion, die für einen „anderen Umgang“ plädiere. Die bisherige Methodik von Politik und Medien, der Umstand, dass „überall dasselbe steht“, habe zumindest zu keinem Rückgang der Rechtspopulisten geführt – ganz im Gegenteil.

Das könne man unterschiedlich bewerten, räumt Schumacher ein. „Wir sehen’s halt so“, schreibt er, „andere anders“. Wir sehen’s anders.

Text: Josef-Otto Freudenreich. Der Beitrag erschien zuerst in der Wochenzeitung Kontext, Ausgabe 699 vom 21.8.2024. Wir danken für die Genehmigung zur Nachveröffentlichung.
Transparenz-Hinweis: Der Autor hat Anfang der 1970er bei der SchwäZ volontiert, später mit ihr prozessiert und bei Riethmüller/Osiander gelesen.
Fotos sind zuerst in Kontext erschienen; Urheber:innen siehe Bildlegenden

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