Bereits im Herbst hatten Diakonie und andere Wohlfahrtsverbände gewarnt: „Die Debatte um Kürzungen im Sozialbereich des Bundeshaushaltes 2024 muss sofort beendet werden! Wer die Erhöhung des Bürgergeldes im kommenden Jahr infrage stellt, will offensichtlich Verfassungsbruch begehen.“
Davor schreckt die CDU scheint’s nicht zurück, denn der Generalsekretär der CDU Linnemann will 100.000 Beziehern das Bürgergeld streichen. Erstaunt fragt man sich: Hat Linnemann keine Ahnung, oder lügt er bewusst? Das eine wäre so schlimm wie das andere. Denn was Linnemann sagt, ist völlig faktenfrei. Bei 5,3 Millionen Bürgergeldbeziehern gab es von Januar bis November 2023 insgesamt 13.838 Fälle. Das sind im Durchschnitt genau 1.258 pro Monat, wobei es Schwankungen gab – ganze 36 im Februar 2023 und der Höchststand wurde im Juli mit 2463 erreicht
Es gibt also nur ganz wenige Totalverweigerer. Da es sich um marginale Zahlen im Promillereich handelt, weist die Bundesagentur für Arbeit zudem keine genauen Zahlen aus. Außerdem werden die Verweigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, einer Ausbildung, einer Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses statistisch zusammengeführt. Zu beachten ist auch, dass die Mehrzahl, nämlich über 80 Prozent der Minderungen, wegen Meldeversäumnissen verhängt wurden.
Das weiß Herr Linnemann natürlich . Er weiß auch, dass das Bundesverfassungsgericht im November 2019 entschieden hat, dass eine Kürzung von 100 Prozent nicht zulässig ist. Das Existenzminimum sei zu schützen. Kürzungen in Höhe von 30 Prozent seien vertretbar, 60 oder 100 Prozent aber nicht.
Doch warum argumentiert Linnemann dann völlig faktenfrei gegen Totalverweigerer? Sind arme Menschen Freiwild für die CDU, wenn sie bei Umfragen um 30 Prozent dahindümpelt? Wenn Linnemann die Zahl von 100.000 Totalverweigerern in die Welt setzt, ist das eine Luftnummer. Linnemann weiß das natürlich alles. Deshalb ist sein Vorstoß reiner Populismus.
Doch nicht nur das: Es ist ein Angriff auf den Sozialstaat. Der Sozialstaat sorgt nämlich dafür, dass jeder Bürger, jeder Bürger, auch der ohne Arbeit, Bürger sein kann. Deshalb ist der Sozialstaat Ausdruck des Menschenwürdeartikels im Grundgesetz, der Ewigkeitsgarantie hat. Und das ist auch gut so, denn er schützt vor inhumanen Angriffen aus der Politik.
Einem Politiker, der so redet wie Linnemann, fehlt es an Ehrlichkeit und Respekt. Bei Respektlosigkeit gerade vor Menschen in prekären Lebenslagen steigt die Wut – und zwar zu Recht. Deshalb meine ich: Sollte Herr Linnemann die Fakten nicht gekannt haben, dann sollte er sich bei den armen Menschen entschuldigen. Und wenn er sie kennt und dennoch so redet, dann ist es eine Art Volksverhetzung. Für die Abteilung „Volksverhetzung“ gibt es schon eine Partei im Bundestag, die in einigen Bundesländern über 30 Prozent erzielt. Wer sie bekämpfen will, sollte nicht deren Stil übernehmen.
Text: Prof. Dr. Franz Segbers, Konstanz, Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay
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