Lodi Ob Uli Burchardt 2016 Kompr © Stadt Konstanz

Stellungskampf ums Auto

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Lodi Ob Uli Burchardt 2016 Kompr © Stadt Konstanz
OB Uli Burchardt (li.)

Die Stadtverwaltung möchte sich um Fördermittel für den Aufbau von Ladestationen für E-Autos bewerben. Was mit einem harmlosen Antrag an die Gemeinderät:innen begann, entwickelt sich schnell zur beinharten Auseinandersetzung um die Zukunft des fossilen Autoverkehrs in Konstanz.

7. Mai, Haupt-, Finanz- und Klimaausschuss (HFK). Die Verwaltung beantragt, eine Bewerbung für das Landesförderprogramm für E-Zonen ausarbeiten zu dürfen. Der ausgearbeitete Förderantrag werde dann dem neuen Gemeinderat zur Genehmigung vorgelegt werden. Bewerbungsschluss für das Programm ist am 15. September.

Lorenz Heublein vom Amt für Klimaschutz (AKS) und Gordon Appel von den Stadtwerken erklären, worum’s geht: Man könne hier mit wenig Aufwand Fördermittel für den Bau von Ladestationen in den Parkhäusern Laube und Augustinerplatz abgreifen, die demnächst ja von der Stadtwerketochter Konstanz Mobil GmbH (KMG) betrieben werden. Die E-Zone soll die gesamte Altstadt, also das von Laube, Grenze, See und Seerhein begrenzte Areal umfassen.

Freie Grüne Liste (FGL), Junges Forum Konstanz (JFK) und FDP signalisieren Zustimmung; CDU, Freie Wähler (FW) und SPD äußern sich skeptisch, der Vertreter der Linken Liste Konstanz (LLK) ist abwesend. Auf Antrag der CDU beschließt der HFK, die Verwaltung möge ein Grobkonzept für den beschleunigten Ausbau der E-Mobilitäts-Infrastruktur in der Altstadt erarbeiten und sich damit auf das Landesförderprogramm bewerben. Jedoch solle das Thema auch noch im Technischen und Umweltausschuss (TUA) beraten werden.

Eine unbedachte Pressemitteilung alarmiert die Lokalzeitung

17. Mai, Pressemitteilung der Stadt. Man verfolge das Konzept einer autofreien bzw. autoreduzierten Innenstadt. Als Zwischenschritt sollen fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Perspektivisch sollen in der E-Zone dann nur noch Elektroautos fahren dürfen.

Ladesäuleswk 2024 Kompr © Ralph Raymond Braun

3. Juni, der Südkurier schlägt Alarm. „Tabula rasa: Dürfen bald nur noch E-Autos in der Konstanzer Altstadt fahren?“ Nur 2,5 Prozent der im Landkreis zugelassenen Fahrzeuge seien E-Autos. „E-Zone bedeutet in letzter Konsequenz, dass dann östlich der Laube nur noch E-Autos fahren dürfen und keine anderen Antriebsarten (Benzin, Diesel, Gas, Wasserstoff, E-Fuels) in diese Zone einfahren dürfen“, malt Redakteurin Aurelia Scherrer den Teufel an die Wand. Während die Verwaltungsvorlage genau dies explizit ausschließt, schon allein, weil dann die privaten Parkhausbetreiber entschädigt werden müssten, verschiebt das Lokalblatt den Akzent: Die vorgeschlagene E-Zone würde bedeuten, die Betreiber der privaten Parkhäuser müssten entschädigt werden.

Scherrer, die sich in ihren Artikeln des öfteren der Sorgen des organisierten Gewerbes um die Vergrämung autofahrender Kundschaft annimmt, wirft weitere Nebelkerzen: Die Folgen für innerstädtische Unternehmen seien nicht geprüft (wohingegen die Verwaltungsvorlage den Lieferverkehr ausdrücklich ausnimmt) und das Konzept (das ja erst ausgearbeitet werden soll!) berücksichtige nicht die zukünftigen alternativen Antriebsarten, womit sie wohl synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) und Wasserstoff meint, die in Geisterdebatten immer wieder als Alternative zur Elektromobilität gehypt werden.

Ein Ausschuss kriegt kalte Füße

4. Juni, TUA. Wohl unter dem Eindruck des Südkurier-Artikels stellt Holger Reile von der Linken Liste Konstanz (LLK) den Antrag, die Beratung zur E-Zone zu vertagen. „Diese Entscheidung fünf Tage vor der Kommunalwahl durchboxen“, das will er nicht. „Zu viele Fragen bleiben offen, die Bürger:innen fühlen sich übergangen.“ Wohlgemerkt: Es geht um den Auftrag an die Verwaltung, einen Förderantrag auszuarbeiten, über den der neue Gemeinderat dann im September beschließen soll. Der Antrag auf Vertagung wird mit neun Ja-Stimmen, einer Gegenstimme und drei Enthaltungen angenommen.

Reile erklärt sein Manöver später damit, mit dem Antrag auf Vertagung eine vermutliche Ablehnung des Verwaltungsvorschlags abgewendet zu haben. Lorenz Heublein vom AKS zeigt sich enttäuscht. Der Stichtag 15. September für die Bewerbung sei nicht einzuhalten, wenn der TUA erst bei seiner nächsten Sitzung, nämlich nach den Sommerferien sein Okay gebe. Für die Verwaltung sei es deshalb nun hinfällig, ein Bewerbungskonzept auszuarbeiten.

Parkhaus Laube 2024 Kompr © Ralph Raymond Braun

Die Verwaltung nimmt einen neuen Anlauf

23. Juli, Gemeinderat. Die Verwaltung hat nicht aufgegeben, sondern ihren Antrag nun auf die Tagesordnung der ersten Sitzung des neu gewählten Gemeinderats gesetzt. Die Fachämter haben eine neue Vorlage erarbeitet sowie ein „Factsheet“ zusammengestellt und damit die Fraktionen besucht und bearbeitet.

Die Vorlage bringt nun schriftlich auf den Punkt, was dem HFK schon am 7. Mai erklärt wurde: „Eine Verpflichtung zum pauschalen Ausschluss von motorisiertem Individualverkehr mit fossilen Antrieben ist mit der Förderung nicht verbunden.“ Die Verwaltung strebe dergleichen auch nicht an. Es gehe vielmehr vor allem darum, bis zu 400.000 Euro für den Bau von 81 Ladepunkten in der Innenstadt zu bekommen, davon 66 in den Parkhäusern der KMG.

Die Überzeugungsarbeit des Amts für Klimaschutz der Stadtwerke hatte offenbar Erfolg, wie man am Morgen des Sitzungstags im Südkurier lesen konnte. FGL und JFK befürworten nun eine Bewerbung um die Fördermittel. Auch die SPD ist umgeschwenkt, mit der Maßgabe, es dürfe nur ja kein Verbot für Verbrenner-Antriebe geben. Die LLK hat ihre Bedenken vom Juni („Die Bürger fühlen sich übergangen“) überwunden. „Ich finde das Konzept vernünftig“, meint LLK-Stadt Simon Pschorr gegenüber der Lokalzeitung.

Hingegen ist die FDP-Fraktion, die die Bewerbung im Mai noch befürwortet hatte, nun entsprechend dem Profil ihrer Bundespartei ins Lager der von CDU und Freien Wählern geführten Ablehnenden gewechselt.

Debatte mit überraschender Wende

Es geht auf halb acht zu, der Gemeinderat tagt inzwischen schon über drei Stunden. Oberbürgermeister Uli Burchardt ruft den Tagesordnungspunkt 20 auf, „Landesförderprogramm für E-Zonen“. In seiner Anmoderation hebt er noch einmal die Vorteile des Förderprogramms hervor, verweist auf den wachsenden Anteil an E-Pkws, die, wenn sie von auswärts in die Stadt kämen, doch auch irgendwo Strom tanken wollten. Mehr Ladestationen nützen doch allen, dem Klima, dem Handel, den Stadtwerken.

Gemeinderat Mit Ob Uli Buchardt 2019 07 25 Kompr (c) O. Pugliese
Gemeinderat und OB 2019

CDU-Fraktionsvorsitzende Heike Rawitzer und Niklas Becker (FGL) erbitten per Handzeichen das Wort. Becker darf zuerst reden, denn seine Fraktion ist die größte im Rat. Der grüne Ratsneuling lobt das Vorhaben grundsätzlich, stellt zu Details aber auch kritische Nachfragen.

Dann Heike Rawitzer, an den OB gerichtet: „Ich habe zweimal gesagt, ich habe einen Antrag. Jetzt haben sie Herrn Becker vorgezogen. Ich bin einverstanden, weil er das erste Mal da ist, dass man ihm nicht ins Wort fällt. Ich würde gern einen Antrag stellen.“ Rawitzer erläutert nun ihre Bedenken und will das Thema wieder an den TUA verwiesen haben. Wohl wissend, dass die drei Arbeitstage zwischen nächster TUA-Sitzung am 10. und dem Bewerbungsschluss am 15. September nicht mehr ausreichen würden, um das für die Bewerbung notwendige Konzept auszuarbeiten.

Burchardt erwidert indigniert: „Einen Antrag zur Geschäftsordnung habe ich nicht gesehen. Den stellen wir mit zwei Händen. Ich habe völlig korrekt aufgerufen. Das ist mir wichtig zu sagen.“ Dann versucht Philipp Baumgartner, Leiter des Klimaamts, die Argumente der CDU-Chefin zu entkräften.

Ein Antrag ist ein Antrag und kein Geschäftsordnungsantrag

Stadtwerkechef Norbert Reuter will noch ergänzen, doch Roger Tscheulin (CDU) fällt ihm ins Wort: „Es ist ein Antrag gestellt worden zur Geschäftsordnung, es wurde Gegenrede gehalten, eigentlich müsste jetzt über den Antrag abgestimmt werden.“

Burchardt: „Ich frage jetzt, ob ein Geschäftsordnungsantrag gestellt ist, denn, noch mal, ich habe keine zwei Arme gesehen und da warn auch keine zwei Arme, Leut, also des is …“

Tscheulin: „Es steht nirgendwo in der Hauptsatzung, dass man zwei Arme hochstrecken muss.“ Unruhe im Saal.

Der Oberbürgermeister und Tscheulin nun in schneller Wechselrede, beide zunehmend erregt: „Es wurde kein Antrag gestellt.“ – „Der Antrag wurde gestellt, Herr Oberbürgermeister.“ – „Nein!“ – „Doch!“ – „Ich habe nach der Reihenfolge der Fraktionen aufgerufen. Und als die Frau Rawitzer rechtmäßig dran war, hat sie gesagt, sie habe einen Antrag gestellt. Einen Antrag habe ich nicht gehört. Punkt!“ – „Sie haben sie ja nicht drangenommen.“ – „Ja wieso soll ich sie denn …“

Rawitzer: „Ich habe gesagt, ich habe einen Antrag.“ – OB: „Wann haben Sie das gesagt?“ – „Bevor Sie Herrn Becker drangenommen haben.“ – „Aber man kann doch nicht einfach reinrufen: Ich habe einen Antrag! Man muss dann schon einen Geschäftsordnungsantrag anzeigen.“ – „Ich habe gestreckt und gesagt: Ich habe einen Antrag!“ – „Ja natürlich, aber wenn Sie strecken und sagen, sie haben einen Antrag, dann kommen Sie dann dran, wann Sie dran sind, und das ist Position zwei der Rednerliste.“

Der OB, jetzt wieder an Tscheulin gerichtet: „Wenn sie sagt, ich habe einen Antrag zur Geschäftsordnung, dann würde ich unterbrechen. Aber sie hat keinen Antrag zur Geschäftsordnung angekündigt, sondern sie sagt, sie hat einen Antrag. Deshalb ist das alles korrekt gewesen.“

„Ich sage jetzt, wie wir weitermachen“

Burchardt blättert in seinen Unterlagen. „Also, es ist ein Antrag zur Geschäftsordnung gestellt, dann halte ich jetzt Gegenrede und sag … also Sie haben gesagt: Verweisen in den TUA ist der Antrag …“ OB zur Verwaltungsbank gerichtet:„Und der braucht welche Mehrheit?“ OB zum Saal: „Wir klären kurz die Stimmenzahl.“

Unruhe kommt auf. Der Oberbürgermeister greift zu einer vor ihm liegenden Broschüre, vielleicht ist es die maßgebliche Hauptsatzung, dreht und rollt sie angespannt in den Händen, ungehalten auf die Klärung durch seine Mitarbeiter wartend.Nach zwei langen Minuten kann er das Ergebnis der Recherche verkünden: „Wenn eine Fraktion … das beantragt, dann wird verwiesen. Ist das ein Antrag der CDU-Fraktion gesamthaft?“

Rawitzer antwortet: „Von CDU, FDP und Freie Wähler.“ OB: „Gut, alles klar, dann brauchen wir auch nicht abstimmen, dann ist das jetzt verwiesen.“

Parkhaus Augustiner 2024 Kompr © Ralph Raymond Braun

Eine neue Welle der Unruhe wogt durch den Saal, jetzt vor allem auf den linken Bänken. Burchardt zieht genervt einen Schlussstrich. „Wir werden das jetzt ausarbeiten. So, das ist jetzt entschieden, das ist jetzt fertig der TOP. Und ich sage Ihnen jetzt, wie wir jetzt weitermachen. Wir werden am 10.9. in den TUA kommen, wir werden das Thema jetzt natürlich vorbereiten wie geplant. Wir konnten jetzt nicht klären, was der Gemeinderat will, so ist Ihr Wille. Wir machen das jetzt und sind zuversichtlich.“

Nachdem es der Verwaltung also nicht gelungen ist, die förmliche Zustimmung des Gemeinderats zur Ausarbeitung des Förderantrags zu bekommen, macht sie es nun auf eigene Faust. Man darf auf die nächste Runde im TUA am 10. September gespannt sein. seemoz wird darüber berichten.

Eine Zwischenbilanz

Ziehen wir hier eine Zwischenbilanz des Konflikts. In Berlin und Brüssel versuchen CDU und FDP, das mühsam ausgehandelte Ende der Zulassung von Verbrenner-Neuwagen im Jahr 2035 wieder zu kippen. Ob nun von der Parteilinie geleitet oder aus eigener Überzeugung, versuchen die Ratsfraktionen dieser Parteien und in ihrem Schlepptau auch die Freien Wähler, den Umstieg auf E-Autos zu erschweren. Ein Handicap der Elektrofahrzeuge ist nämlich die Sorge der Automobilist:innen um die beschränkte Reichweite und mangelnde Lademöglichkeiten. Je weniger öffentliche Ladestationen es gibt, desto unattraktiver werden Elektrofahrzeuge.

Dass es in diesem Glaubens- und Wirtschaftskrieg – bei den E-Autos haben chinesische Hersteller die Nase vorn – auch ums Klima, nämlich um die Minderung der CO2-Emissionen geht, ist den Konstanzer Gegner*innen der E-Zone offenbar ziemlich egal. Vermutlich haben sie alle keine Nachkommen, die auch noch in fernerer Zukunft menschenwürdig auf diesem Planeten leben wollen.

Text: Ralph-Raymond Braun. Fotos: Stadt Konstanz, Harald Borges und Ralph-Raymond Braun. Karte: OpenStreetMap®, bearbeitet

2 Kommentare

  1. Gunder Haschker

    // am:

    Empfehle: „Die kleinen Parlamente“ von Kurt Tucholsky. von 1919. Der hat damals schon das Prinzip der Konstanzer Gemeinderatssitzungen vorweggenommen…

  2. Wolfgang Daub

    // am:

    Wenn ich das hier lese, dann waren die Pannen bei der letzten Wahl wohl nicht die einzigen in der Kommunalpolitik von Konstanz!?

    Grundsätzliche Frage zum Thema: Warum soll der Steuerzahler (also auch Arme, Alte und Arbeitslose) eine Infrastruktur subventionieren, die vor allem Reichen zugute kommt?

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