Paul Schobel, aufgenommen von Joachim E. Röttgers

„Kriege werden verbrochen“

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Paul Schobel, aufgenommen von Joachim E. Röttgers
Paul Schobel, aufgenommen von Joachim E. Röttgers

Frieden und soziale Gerechtigkeit sind die Kernthemen von Paul Schobel. Der Pfarrer, Gewerkschafter und Friedensaktivist aus Böblingen wurde am vorletzten Samstag 85 Jahre alt. Ruhe gibt er bis heute nicht, wie eine seiner jüngsten Reden zum Frieden zeigt.

Zusammen mit seinem Geburtstag konnte Paul Schobel mit vielen Weggefährt:innen auch den 20. Jahrestag der von ihm initiierten Stiftung „Arbeit und Solidarität“ feiern. Die Stiftung hilft Menschen, die unter die Räder der Arbeitswelt geraten sind. Soziale Gerechtigkeit ist eines der großen Themen des einstigen Betriebsseelsorgers. Und der Frieden, den er nicht allein aus seinem Glauben heraus begründet, sondern weil er ein Mensch ist, der die Menschen sieht. Im April hat Paul Schobel in Saarbrücken eine Rede zum Ostermarsch gehalten. Hier nachzulesen in leicht gekürzter Form.

Zum Ostermarsch 2024, Saarbrücken

Es ist bald 79 Jahre her, dass französische Panzer auf mein Heimatdorf am Rande des Schwarzwalds zurollten. Wir saßen bangen Herzens in den Luftschutzkellern. Dass meine Heimat damals nicht zusammengeschossen wurde, verdankten wir den etwa 15 französischen Kriegsgefangenen, die als Zwangsarbeiter im Dorf interniert waren. Die gingen mit einer weißen Fahne ihren Waffenbrüdern entgegen, und die verschonten auf deren Fürsprache hin unseren Ort, obwohl der Volkssturm noch eine Panzersperre errichtet hatte. Seitdem hat die „Weiße Fahne“ für mich fast eine magische Bedeutung.

Dieser Lappen bedeutet nicht mehr als: Schluss mit Gewalt, so kann’s nicht weitergehen, lasst uns endlich miteinander reden. Einer muss anfangen, aufzuhören. Wenn es denn – dem herrschenden Mainstream zufolge – das erklärte Ziel sein soll, dass Russland diesen Krieg um keinen Fall gewinnen darf, wird’s höchste Zeit, endlich damit aufzuhören. Sonst ist – Waffenlieferungen hin oder Taurus her – das Schicksal der Ukraine besiegelt, sagen erfahrene Militärs. Aber man hört ja nicht auf sie. Wenn dieser Wahnsinn weitergeht, wird sich die Spirale des Todes immer schneller drehen und am Ende die Welt hineinreißen in den Strudel eines Dritten und letzten Weltkriegs. Tschüss dann – das war’s!

Ja, es kam, wie es kommen musste. Seit dem ersten Schuss in der Ukraine war uns Friedensbewegten klar: Mit jedem weiteren Tag wird sich dieser Krieg wie ein Krebsgeschwür hineinfressen in Herzen und Hirne und immer weiter metastasieren. Hätte man damals – vor zwei Jahren in Istanbul – den Schneeball aufgehalten, wäre die Lawine noch zu stoppen gewesen. Nun donnert sie ungehindert zu Tal und wird alles unter sich begraben. Aber der „Westen“ war ja – so viel weiß man – nicht an einem sofortigen Kriegsende interessiert. An was dann? Man wird den Verdacht nicht los: Krieg war immer schon ein Geschäftsmodell. Die Rüstungsindustrie schwebt wie im siebten Himmel: „Bei uns fließen jetzt Milch und Honig“, frohlockte einer ihrer Manager vor Kurzem und scheute sich nicht, dafür die Bibel zu missbrauchen. Denn das biblische Bild von „Milch und Honig“ bedeutet gutes Leben für alle und nicht für die Aktionäre der Rüstungskonzerne. Und es ist auch gar keine Frage: Je mehr Infrastruktur im Krieg zerbombt wird, je katastrophaler die Zerstörung, umso lukrativer winken die Gewinne beim Wiederaufbau. Pfui Teufel – um welchen Preis!

Und nun auch das noch: In Nah-Ost ist der alte Tumor wieder aufgeplatzt – schrecklicher als zuvor! Vor den Augen aller Welt wurden von den Hamas-Terroristen über eintausend Menschen in Israel geschändet, vergewaltigt, malträtiert und grausam massakriert. Gräueltaten, als wären alle Teufel der Hölle unterwegs gewesen. Nun aber starben im Gegenangriff schon über 30.000 Palästinenser, in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Sie verhungern und verdursten oder siechen in Trümmern und Zelten elend dahin. Zwei Drittel der Häuser sind nicht mehr bewohnbar. Und alles ohne Aussicht auf baldigen Frieden und ohne jegliche Perspektive, wie das einmal weitergehen soll. Hamas wird nicht totzukriegen sein, Hamas lebt in den Köpfen und nährt sich aus der Wut über 70 Jahre Besatzung.

Erschreckende Kriegsbesoffenheit

Die Welt liegt wie im Schüttelfrost und Fieberwahn. Vom Wahnwitz besessen, als könne man die Konflikte dieser Welt auf „Schlachtfeldern“ lösen. „Schlachtfeld“ – dieser martialische Begriff hat längst wieder Eingang gefunden ins politische Wörterbuch und geht den Verantwortlichen mühelos über die Lippen. Der Krieg, dieser Massenmörder, der nur Tod und Zerstörung kennt – mehr kann er ja nicht, der Idiot – hat sich als Option auf der politischen Bühne zurückgemeldet. Es scheint, als wären wir von Gott und allen guten Geistern verlassen. Man reibt sich verwundert die Augen: Über Nacht haben sich Politiker jeder Couleur zu Waffenexperten gemausert, ihre Friedensprogramme geschreddert. Nun liefern sie gegen das ausdrückliche Votum des Grundgesetzes massenhaft Waffen in Spannungsgebiete, als handle es sich um Wasserpistolen und Spielzeug-Konsolen.

Was mich, der ich als Kind noch den Krieg erlebt habe, bis ins Mark erschüttert, ist diese Kriegsbesoffenheit. Europa wird mental auf einen Krieg mit Russland vorbereitet. Ich frage mich: Was geht da derzeit in den Köpfen vor? Wie kann es sein, dass die Kriegslogik kranker Gehirne einfach weltweit übernommen wird, als wäre sie ein Naturgesetz, das unabdingbar unser Handeln bestimmt? Warum müssen erst Hunderttausende sterben, ehe man sich verständigt? Warum braucht‘s erst Massengräber und Trümmerberge, bis man aufeinander zugeht?

Nein – Krieg ist kein unabwendbares Schicksal! Kriege brechen auch nicht einfach aus, wie wir leichtsinnig sagen, sie werden vielmehr verbrochen von Verbrechern, Kriegsverbrechern im eigentlichen Sinn. Sie bomben uns derzeit in einem epochalen Rückschlag in der Menschheitsgeschichte um Jahrhunderte zurück – politisch, ökonomisch, sozial und kulturell. Mehr noch: Sie riskieren bewusst und provozieren geradezu, dass die Menschheit in einem atomaren Inferno verglüht.

Die Toten scheinen unbedeutend zu sein

Als Seelsorger bedrückt mich das unsägliche Leid der Menschen in den Kriegsgebieten, auch wenn wir es kaum zu sehen bekommen. Es wird auf beiden Seiten der Front verheimlicht oder verharmlost. „Der Tod soll die Lebenden nicht vom Sterben abhalten“, bemerkt sarkastisch der bekannte Kriegsberichterstatter Wolfgang Bauer.

Daher kaum ein Sterbenswörtchen über das Weinen der Kinder in Russland und in der Ukraine um ihre gefallenen Väter. Nichts zu hören von der Totenklage der Frauen um ihre Männer und den Jammer der Soldatenmütter. Allenfalls am Rande bekommt man mal mit, wie eine alte ausgebombte Frau in einem Sperrholzverschlag Kälte und Finsternis trotzt. Die alle haben doch den Krieg zum Kotzen satt. Wie die Soldaten auch, die in ihren Panzern verglühen oder in den Drecklöchern von Minen zerrissen werden. Wie sie im Todeskampf starren Blicks, mit verdrehten Gliedmaßen und offenen Mündern nach ihrer Mutter schreien. Sie werden, falls sie überhaupt überleben, auf Jahre hinaus traumatisiert sein, verstümmelt an Leib und Seele, um ihr Leben betrogen. Schon sind es Hunderttausende, die diesen Wahnsinn völlig sinnlos mit ihrem Leben bezahlen mussten. Von der Ukraine wird außer Schuttbergen und Massengräbern nicht mehr viel übrig bleiben. Städte und Dörfer zerbombt, die Infrastruktur zerstört, die Felder auf Jahrzehnte hinaus vermint.

Daher gibt’s nur eins, und das ist heute unser Appell: Stoppt diesen Wahnsinn, stoppt diese Wahnsinnigen, die Kriege auslösen, Kriege führen, und zwar sofort! Sofortige Feuerpause in der Ukraine und im Gaza, Waffenstillstand und dann Verhandlungen! Solange die Waffen brüllen, gibt es keinen Frieden. Krieg ist keine Lösung, der moderne Krieg ist der Anfang vom Ende.

Ein skandalöses Politikversagen

Was aber, wenn die Kriegsverbrecher nicht mit sich sprechen lassen? Gegenfrage: Hat man es denn ernsthaft und vor allem dauerhaft und hartnäckig genug versucht? Stattdessen Waffen und immer wieder Waffen, bedingungslos, ohne einen wirklichen Friedensplan. Die Lieferung jeder Munitionskiste hätte man an einen konkreten Friedensschritt binden müssen. Waffen verlängern nur den Krieg und befeuern ihn noch, sie morden und töten ohne Ende, dazu sind sie konstruiert. Ich bin mir sicher: Dieser Krieg wird als Bankrott der Diplomatie, als skandalöses Politikversagen in die Geschichte eingehen. Die Welt kapituliert einmal mehr vor der Gewalt.

Mir wird immer klarer: Wenn es der Menschheit nicht gelingt, ihre Konflikte gewaltfrei zu lösen, wenn sie Sicherheit nicht neu denkt und buchstabiert, ist sie verloren.

Albert Einstein, dem genialen Atomphysiker und leidenschaftlichen Pazifisten, wird dieses Wort zugeschrieben: „Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus der Welt käme auf die Idee, eine Mausefalle zu konstruieren.“ Wir schon, denn „Homo sapiens“ ist leider dümmer als die Maus und wird nicht müde, immer noch mehr in die eigene Vernichtung zu investieren. In einem Wettlauf ohnegleichen ist die Welt zurzeit dabei, sich zu Tode zu rüsten. Pro Jahr werden weltweit über zwei Billionen US-Dollar für Rüstung verpulvert. Das sind unsagbare 2.000 Milliarden. Man braucht eine Turnhallenwand, um alle Nullen aufzumalen. Mit diesem hübschen Sümmchen wären Flüchtlingsnot, Kindersterblichkeit, Hunger und Elend in der Welt im Handstreich überwunden.

Eine Granate = drei Kitaplätze

Auch bei uns schlagen nun Hochrüstung, Kriegskosten und Kriegsfolgen dermaßen zu Buche, dass die Wirtschaft in den Keller fährt und die Sozialhaushalte angefressen werden. „Rüstung tötet – auch ohne Krieg“, seit Jahren schon mahnen wir vergebens. Nun fühlen wir das am eigenen Leib, was das heißt, wenn bald jeder fünfte Euro im Bundeshaushalt in die Rüstung fließt. Dann geht der „Wumms“ eben nach hinten los. Mit jeder Artilleriegranate fliegen drei voll finanzierte Kitaplätze in die Luft. 100 Milliarden „Sondervermögen“ – Peanuts – das muss auf 300 Milliarden aufgestockt werden, fordert die Wehrbeauftragte. Wir investieren in den Tod, aber nicht in das Leben.

Fachleute sind sich einig: Wenn nicht spätestens nach dem Ukraine-Krieg ein Jahrzehnt der weltweiten Abrüstung beginnt, sind wir am Ende. Die Ressourcen dieses Planeten werden einfach nicht ausreichen, über acht Milliarden Menschen zu ernähren, unterentwickelte Länder zu beteiligen und vor allem, dem todbringenden Klimawandel Einhalt zu gebieten.

Wenn jeder hier im kommenden Jahr auch nur einen Menschen gewinnen und bekehren kann, sind wir schon doppelt so viele, die aufstehen gegen den Krieg und für den Frieden. Die dann mit uns fordern:
• Feuerpause in der Ukraine und am Gaza, und zwar sofort. Dann Waffenstillstand und Verhandlungen.
• Diplomatische statt militärische Großoffensiven.
• Zurück auf den Boden des Grundgesetzes: keine Waffenlieferungen in Krisengebiete. Schluss mit Waffenexporten – an wen auch immer!
• Sicherheit neu denken – mit gewaltfreien Strategien.

Ostern als revolutionäre Hoffnung

Entwaffnend ist nur die Gewaltlosigkeit. Und dafür stehen wir in der Friedensbewegung. Bescheuert, wer glaubt, man könne den Teufel mit dem Oberteufel austreiben. Krieg zieht unweigerlich Krieg nach sich. „Finsternis kann keine Finsternis vertreiben“, predigte einst der unvergessene Pastor Martin Luther King und fährt fort: „Das gelingt nur dem Licht. Hass kann Hass nicht austreiben. Das gelingt nur der Liebe. Gewalt mehrt die Gewalt. Die Kettenreaktion des Bösen muss unterbrochen werden. Sonst stürzen wir in den Abgrund der Vernichtung.“

In wenigen Stunden schickt sich die Christenheit an, das zentrale Geheimnis ihres Glaubens zu feiern, die Auferstehung Jesu zum Leben, den revolutionären Sieg der Liebe über den Tod. Im Tagebuch des unvergessenen ehemaligen Studenten-Führers Rudi Dutschke fand man an Ostern 1963 diese Notiz: „Jesus ist auferstanden … Die entscheidende Revolution der Weltgeschichte ist geschehen, die Revolution der Welt durch die alles überwindende Liebe. Nähmen die Menschen diese Liebe an, dann könnte die Logik des Wahnsinns nicht mehr weiterbestehen.“

Ja – mit dieser Revolution hätte der Wahnsinn ein Ende! Es wird Zeit für einen Aufstand, revolutionieren wir die Welt durch die Liebe. Überwinden wir das Böse durch das Gute, meint die Bibel. Ich bin überzeugt: Je höher der „Sättigungsgrad“ an Verständnis, Solidarität, Barmherzigkeit, desto weniger Raum bleibt für den Hass, den Terror und den Krieg.

Lasst uns nicht müde werden, Frieden anzuzetteln!

Dieser Text erschien zuerst auf: www.kontextwochenzeitung.de, Bild: Joachim E. Röttgers

4 Kommentare

  1. Dr. Peter Krause

    // am:

    In der DDR sagten die Oberen: „Der Friede muss bewaffnet sein“.
    …. war an sich nicht falsch, aber das SED-Regime von Moskaus Gnaden war nicht unbedingt ein angenehmes System, und inneren Frieden gab es dort mangels Freiheit und aufgrund der Unterdrückung eher nicht.
    Jemand anderes sagte etwa auch zu jener Zeit: „Es gibt wichtigeres als den Frieden: Frieden in Freiheit.“ (aus dem Gedächtnis zitiert)
    Auch ein bedenkenswerter Satz; und dies auch, wenn ihn der damalige Oberbefehlshaber der NATO, General Haig, gesagt hat. Ob der selbst gesetzte Anspruch des Westens, die Freiheit zu verteidigen, stets erfüllt wurde und wird, mag bezweifelt werden. Aber weniger frei war man sicher im „Osten“; nur wenige Menschen flohen von West nach Ost über die Mauer – oder heute nach Russland.
    Und dann denke ich noch an den alten Sinnspruch: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“.
    Bei diesem Satz denke ich an Polen, das unter seinen Nachbarn mehr als einmal schwer zu leiden hatte.

  2. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    Es ist was dran, auch ich bin für Frieden. Doch eine Frage, wie würde die Welt heute aussehen, wenn Hitlerdeutschland den Krieg gewonnen hätte? War es ein Fehler, dass man sich mit Waffengewalt gegen ihn und Deutschland gewandt hatte? Was ist mit diesen Staaten, die nicht nur eine Gefahr für ihre Nachbarn sind, sondern auch im Inneren jede Freiheit unterdrücken. Dürfen wir Nachbarn nicht unterstützen, wenn sie angegriffen werden? Müssen wir darauf achten nicht verteidigungsfähig zu sein, um glaubwürdig für Frieden zu verhandeln?
    Ich denke Verhandlungen sind wichtig und da passiert zu wenig. Gleichermaßen sollten wir uns in die Lage versetzen uns verteidigen zu können und Angegriffene bei ihrer Verteidigung unterstützen. Darin sehe ich keinen Widerspruch.

  3. Peer Mennecke

    // am:

    Bitte direkt bei Putin und der Hamas beschweren. Hätte die vielen Worte verüberflüssigt.

  4. Janosch Tillmann

    // am:

    Es sind fast alle vorher zu Putin geflogen, das scheinen viele zu vergessen. Und in Istanbul kamen die Nachrichten aus Butcha dazwischen. Auch daran scheinen sich viele nicht zu erinnern.

    Und die Hamas nährt sich zentral aus dem Antisemitismus. Die Vernichtung der Juden sot ihr Ziel. Ob mit oder ohne Besatzung. Das ist kein großes Geheimnis.

    Verhandlungen sind richtig und gut. Nur scheint mir kein Angebot auf dem Tisch zu liegen, was die Sicherheit garantiert. Weder für Israel, noch für die Ukraine. Manche Akteure wollen nicht verhandeln, der Iran und Putin gehören dazu. Für sie sind Verhandlungen bestenfalls Zeitspiel, um in der nächsten Runde stärker wiederzukommen.

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