Auch 2023 sei wieder ein überaus gutes Geschäftsjahr gewesen, teilte Bene Müller, Vorstand des Bürgerunternehmens solarcomplex AG in Singen, mit. Die Auftragsbücher für 2024 und die folgenden Jahre seien voll. Fachkräftemangel, Engpässe beim Netzausbau und ebenso langwierige wie komplizierte Genehmigungsverfahren hingegen bleiben die Bremser bei der Energiewende.
Die Kennzahlen der Jahresbilanz 2023: Bilanzsumme 98,4 Millionen Euro (2022: 81,9 Mio. Euro) – Anlagevermögen 74,4 Millionen Euro (2022: 64,8 Mio. Euro) – Eigenkapital 38,3 Millionen Euro (2022: 34,4 Mio. Euro) – Umsatz 38 Millionen Euro (2022: 32,7 Mio. Euro) – Jahresergebnis 2.116.000 Euro (2022: 3.005.000 Euro) – Bilanzgewinn 5.256.000 Euro (2022: 3.929.000 Euro). Vorgesehene auszuschüttende Dividende: Sechs Prozent wie im Vorjahr.
Eine Erfolgsgeschichte seit mehr als zwei Jahrzehnten
„Sensationell“ sei die Bilanzsumme von 98,4 Millionen Euro. „Dass wir mal in diese Größenordnung kommen, hätten sich die Unternehmensgründer vor über 20 Jahren nie träumen lassen“, berichtet Bene Müller zufrieden. Die aktuelle Eigenkapitaldecke von 38,3 Millionen bedeutet eine Vertausendfachung des Stammkapitals von 37.000 Euro im Jahr 2000, als das Bürgerunternehmen als GmbH gegründet wurde. 2007 erfolgte die Umwandlung in eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Eine Summe von rund sieben Millionen Euro und ein Eigenkapital von 2,8 Millionen Euro wies damals die erste Bilanz aus.
Zuwachs auch bei Anlagevermögen und Umsatz
Dominanter Posten in der Bilanzsumme sei das Anlagevermögen (Wert aller Wärmenetze, Solarparks, Windkraftanlagen, die solarcomplex gebaut und noch – anteilig oder vollständig – im Eigentum hat) in Höhe von 74,4 Millionen Euro, was eine Wertsteigerung um knapp 10 Millionen Euro gegenüber 2022 bedeute. Und auch die Umsatzsteigerung um 5,3 Millionen Euro auf nun 38 Millionen Euro sei erfreulich.
Gutes Jahresergebnis ohne „Sondereffekte“
Anders als 2022 gab es im zurückliegenden Jahr keine „Sondereffekte“ durch überhitzte Börsenstrompreise, die dem Unternehmen vor zwei Jahren einen „Zufallsgewinn“ von 1,4 Millionen Euro und damit ein Rekord-Jahresergebnis von rund drei Millionen Euro beschert hatten. Ohne diesen Sondereffekt lag der aus guter Arbeit resultierende Gewinn 2022 bei rund 1,6 Millionen Euro. Mit aktuell 2,1 Millionen Euro zeige daher 2023 die Gewinnkurve tatsächlich weiter nach oben.
Mit bescheiden-rentablen Projekten das Eigenkapital gesteigert
solarcomplex sei nicht angetreten, um maximal hohe Renditen und Gewinne zu erzielen, sondern um die Energiewende schnellstmöglich umzusetzen. Auf dieses Unternehmenscredo weist Bene Müller immer wieder hin. Und diese Leitlinie funktioniere: In der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass man auch Handlungsspielraum gewinnen könne, wenn man bereit sei, bescheidenere Projekte umzusetzen. Bestes Beispiel dafür seien mittlerweile 20 Gemeinden mit Wärmenetzen, alle von solarcomplex mit beziehungsweise trotz „nur“ kleiner Rendite realisiert, während die Stadtwerke der Region bislang keine solchen hätten.
Kleine Gewinne müsse man dennoch ausweisen, denn auch idealistische Bürger:innen möchten zumindest eine kleine Dividende haben. Bei sechs Prozent Gewinnausschüttung (6 Cent pro Aktie) wolle man aber – wie im Vorjahr – bleiben.
Neues Kapital für geplante große Projekte
Um neue, und zwar große Projekte – vor allem Wärmenetze – zu bauen, soll schon bald wieder „neues Bürgerkapital eingesammelt werden“. Noch für Herbst 2024 sei für eine Kapitalerhöhung die Ausgabe von 2,5 Millionen neuen Aktien vorgesehen. Aktuell sind 15 Millionen Aktien im Handelsregister eingetragen (38 Millionen Euro „echtes“ Eigenkapital). Inklusive 9,5 Millionen Euro Genussrechts-Kapital und 8,9 Millionen Euro Sonderposten für Projektzuschüsse betrage das gesamte Eigenkapital 56,7 Millionen Euro, was einer Quote von 58 Prozent (bezogen auf die Bilanzsumme von 98,4 Millionen Euro) entspreche. Mit dieser hohen Eigenkapital-Quote sei es kein Problem, Fremdkapital von regionalen Geldinstituten zu erhalten, so der Unternehmenschef.
Personalentwicklung bleibt ein zentraler Flaschenhals
80 Mitarbeiter:innen beschäftigt die solarcomplex AG. Doch es würden weit mehr gebraucht, um den stetig wachsenden Kraftwerks- und Anlagenpark betreuen zu können. Elektriker für die Photovoltaik-Abteilung, Ingenieure für die Planungs-Abteilung, Heizungsbauer für die Biogas-Abteilung, Bürofachkräfte – überall gebe es Bedarf, sofort und in den kommenden Jahren.
Mit dem 2023 eingeführten Mitarbeiter-Beteiligungsprogramm, das allen Vollzeit-Beschäftigten jedes Jahr 1000 Aktien (rund 3.000 Euro) gratis zur freien Verfügung garantiert, erhoffe man sich eine langfristige Bindung ans Unternehmen. Ob’s klappt, werde sich mittelfristig zeigen.
Nicht umgesetzt werden dagegen konnte der Plan, Elektriker aus Spanien zu gewinnen: Zu groß seien hier die Sprachbarrieren bei den gleichzeitig komplexen, anspruchsvollen und mit hohen Risiken verbundenen Arbeiten der verschiedenen Gewerke und der Einhaltung der lebenswichtigen Arbeitsschutzbestimmungen, zum Beispiel bei Dacharbeiten für Photovoltaik-Anlagen.
Geschäftsfeld Sonne
„Nicht ökologisches Bewusstsein, sondern wirtschaftlicher Eigennutz“, sorge dafür, dass es mit dem Ausbau der Photovoltaik auf großen Industriedächern endlich vorangehe. Jahrelang hätten die Öko-Pioniere von solarcomplex versucht, Unternehmen davon zu überzeugen.
Auch die Solarparks werden mehr: Neun Megawatt erzeugt der – im Auftrag einer lokalen Betreibergesellschaft – bisher größte von solarcomplex projektierte und gebaute „Solarpark Frankenreute“ bei Rottweil.
Als ein „schönes und innovatives Projekt“ lobt Bene Müller den „Solarpark Lärmschutzwall Allensbach“ entlang der B33, da man dessen erzeugte zwei Megawatt „ohne schlechtes Gewissen nutzen kann, weil es keine Konkurrenz mit der Landwirtschaft gibt“. Eigentümer ist die Gemeinde Allensbach, vermarket wird der Strom von den Stadtwerken Konstanz.
Der „Solarpark Brandbühl“ bei Radolfzell-Reute mit sechs Megawatt ist im Besitz von solarcomplex selbst. Der erzeugte Strom wird über die Stadtwerke Radolfzell vermarktet.
Flaschenhals Netzausbau bremst Energiewende aus
Allgemein schlechte Nachrichten gibt es, was den bundesdeutschen Ausbau des Stromnetzes und damit auch die Umsetzung der Energiewende angeht. Der Verkauf des Stromnetzbetreibers Tennet an den deutschen Staat ist gerade gescheitert. Finanzminister Christian Lindner will dafür kein Geld ausgeben, Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck ist enttäuscht …
Frustrierende Beispiele gibt es dazu auch in der Region. Eines davon ist der geplante „Solarpark Gebhardsreute“ an der A81 bei Mühlhausen-Ehingen. 20 Megawatt Strom könnten hier ab 2025 ins Netz fließen, so Bene Müller. Als Netzverknüpfungspunkt sei ihnen das 4,5 Kilometer entfernte Umspannwerk in Beuren an der Aach zugewiesen worden. Vom Aufwand her sei das bei einem Projekt dieser Größe eigentlich kein Problem, doch das Umspannwerk hätte aktuell nicht genug Kapazität und müsste dazu erst aufgerüstet werden … und dies werde erst bis (frühestens) 2029 möglich sein. Folglich habe man das Projekt verschieben müssen.
Und dies sei nur ein Beispiel. Derzeit müsse etwa die Hälfte aller Projekte nach hinten geschoben werden, weil kein Netzverknüpfungspunkt zur Verfügung stehe. Das heißt, von geplanten 100 Megawatt werden erst einmal nur 50 Megawatt realisiert werden können.
Für den Netzausbau sind zwar die großen Netzbetreiber zuständig, doch nach Ansicht von Bene Müller müsse hierfür auf Landesebene entsprechend gesteuert werden.
Windkraftausbau oder Endlos-Warteschleife?
Auch hier gibt es keine Erfolgsmeldungen. Beim „Windpark Länge“ (Gemarkungen Donaueschingen und Hüfingen, Landkreis Schwarzwald-Baar) liegt seit Februar 2023 die (neue) Genehmigung vor, gegen die jedoch von der „Naturschutzinitiative e.V.“ aus Rheinland-Pfalz Klage eingereicht wurde. Nun heißt es: Warten auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Mannheim. Sechs Windräder, die 60 Millionen Kilowattstunden pro Jahr (kWh) erzeugen könnten, werden bislang nicht gebaut und ein „Bürgerbeteiligungsprojekt par excellence, an dem viele Bürgerenergie-Genossenschaften beteiligt sind“ auf unbestimmte Zeit ausgebremst.
Bei den drei geplanten Anlagen des „Windparks Brand“ (Gemarkung Tengen, oberhalb von Engen, 30 Millionen kWh/Jahr) der Gruppe „Hegauwind“ ist ebenfalls immer noch alles offen. Bereits im Juni 2023 hatte das Landratsamt Konstanz die Vollständigkeit des eingereichten BImSchG-Antrags bestätigt, doch jetzt wurde solarcomplex mit neuen Kartierungs-Nachforderungen konfrontiert. Folglich werden sich auch in den nächsten Jahren nur die drei einsamen Windräder von „Veranofohren“ bei Tengen drehen.
Hilzingen wartet auf Fördermittel fürs Wärmenetz
Auch nicht gerade Mut machende Nachrichten gibt zum Thema Wärmenetze: Viele Akteure in der Region planen derzeit solche. Damit diese finanziell gestemmt werden können, wurde im Rahmen des Klima-und Transformationsfonds das „Bundesförderungsprogramm für effiziente Wärmenetze“ aufgelegt. Dort können Förderanträge gestellt werden. Bei den Informationen zur Antragsstellung ist zu lesen: „Die BAFA (Bundesamt für Wirtschafts- und Ausfuhrkontrolle) nimmt weiterhin Anträge zur Förderung entgegen, und bewilligt diese, sobald neue Mittel zugewiesen werden.“
Auf einen solchen Förderbescheid wartet die Hegau-Gemeinde Hilzingen bisher vergeblich. Dabei war die geplante Erweiterung des Bestandsnetzes von 5,2 auf 18,4 Kilometer anscheinend schon in trockenen Tüchern. Mit 40 Bestandskunden und 240 Neuanschlüssen in etwa 280 Gebäuden wäre diese Erweiterung eines Wärmenetzes das größte solarcomplex-Projekt der sogenannten Wärmewende im Landkreis Konstanz gewesen. Eine Wärmemenge von etwa 11 Millionen kWh könnte erzeugt und damit Heizöl in einer Größenordnung von 1,5 Millionen Liter eingespart werden. 15 Millionen Euro würden die Investitionskosten betragen, sechs Millionen Euro sollten vom Bund kommen. Der Spatenstich für das Großprojekt hätte im Mai sein können, aber ohne Förderzusage war das nicht möglich. Um sowohl Hauseigentümer:innen als auch Baufirmen Planungssicherheit zu geben, wurde auch dieses Projekt um ein Jahr verschoben. Hauseigentümer müssen für den kommenden Winter nochmals ihre Gaslieferungsverträge verlängern oder Heizöl bestellen, Baufirmen müssen umplanen, solarcomplex muss die Angebote neu ausschreiben, Personalkapazitäten im Unternehmen wurden umsonst verplant …
Förderstau beim Wärmenetzausbau
Nicht (nur) um Hilzingen gehe es ihm bei diesem Beispiel, sondern dies alles sei „ein schlechtes Vorzeichen für die Wärmewende in der Region“. Wenn die Wärmewende überall wegen ausbleibender Förderbescheide ins Stocken komme, werden viele Akteure nach solch einer ersten negativen Erfahrung wieder aussteigen, warnt Bene Müller. Das Unternehmen solarcomplex sei da sehr leidensfähig, Aufträge gebe es ja genug, „nur“ die Priorisierung müsse eben verschoben werden. Aber für alle anderen Beteiligten (Investoren, Bürgerschaft, Kommunen, Baufirmen) sei dies eine Zumutung.
Ohne staatliche Förderung drohe der Wärmewende das Aus. Zu hoch würden dann die Preise für die Abnehmer sein. Eine positive Dynamik könne sich nur entwickeln, wenn ein gelungenes Projekt zum Ansporn für das nächste – idealerweise in der Nachbargemeinde – werde.
Neues Großprojekt in Dingelsdorf/Wallhausen
Ein abgesicherte Förderzusage ist auch Voraussetzung für das geplante Wärmenetz Dingelsdorf/Wallhausen: Der Bodensee soll dabei als Wärmequelle für eine Großwärmepumpe dienen, mit der vier Megawatt Strom erzeugt werden sollen. 11 bis 15 Millionen kWh Wärme soll diese produzieren und etwa 400 bis 500 Gebäude sollen angeschlossen werden bei einer Netzlänge von 20 Kilometern. Inklusive einem Solarpark, der Strom für die Großwärmepumpe liefere, liege die Investitionssumme bei 25 Millionen Euro. Das Interesse der Bürgerschaft sei groß, die Unterstützung seitens der Stadtverwaltung Konstanz enorm, teilt der solarcomplex-Chef zuversichtlich mit.
Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren einer Energiewende
Alles in allem seien die Erfolgs- beziehungsweise Misserfolgsfaktoren einer Energiewende unverändert dieselben wir im vergangenen Jahr: „Die Technologien sind ausgereift. Kapital steht ausreichend zur Verfügung. Aber es fehlt weiterhin massiv an Personal, und die Genehmigungen dauern immer noch zu lange und sind zu kompliziert“, so Bene Müller als Fazit seiner Bilanz-Präsentation.
Text Uta Preimesser; Foto Bene Müller © D.H./seemoz; alle anderen © solarcomplex AG, Singen
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