Alter, Pflege, Rollstuhl, Senior © Bild von whitfieldink auf Pixabay

Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Konstanz steigt

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Kaum eine gesellschaftliche Entwicklung ist so gut prognostizierbar wie der demografische Wandel. ExpertInnen gehen davon aus, dass die Anzahl der Über-65-Jährigen bis 2035 sprunghaft ansteigen wird, ebenso die Anzahl der Menschen, die auf Hilfe, Versorgung und Pflege angewiesen sein werden. Gleichzeitig wird die Zahl der Berufstätigen zurückgehen.

Hier eine Mitteilung der Stadt:

Um abzusehen, was das für die Stadt Konstanz bedeutet, hat die Altenhilfe den Kommunalverband für Jugend und Soziales beauftragt, auf Grundlage der Bevölkerungsvorausrechnung des Instituts Empirica Bedarfszahlen für 2030 und 2035 zu ermitteln. Derzeit wird die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen in Konstanz auf knapp 4.200 geschätzt. Bei den Personen unter 65 Jahren ist mit 883 die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen nennenswert. Im Alter über 65 nutzen 3.311 Personen die Versorgungsangebote. Im Jahr 2030 dürfte die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Konstanz auf rund 4.550 Menschen steigen, fünf Jahre später auf rund 4.730 Menschen.

In der ambulanten Versorgung spielen derzeit An- und Zugehörige eine sehr große Rolle. Das könnte sich in den nächsten Jahrzehnten ändern, unter anderem deshalb, weil die „Babyboomer“ vergleichsweise wenig Nachkommen haben. Zudem wohnen Angehörige immer häufiger weiter weg. Hier können unter anderem digitale und technische Möglichkeiten helfen, sie dennoch in eine Pflege auf Distanz miteinzubeziehen.

Außerdem sind in der familiären Pflege Frauen immer noch stärker involviert als Männer. Hier sind Strategien für die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zunehmend gefragt. Die Zahlen für Konstanz machen auch deutlich, dass an vielen Stellen die Umsetzung der Handlungsempfehlungen aus dem Handlungsprogramm Pflege vorangetrieben werden muss. Der Austausch und das Zusammenwirken aller AkteurInnen sind hierfür notwendig – die „Babyboomer“-Generation ist daher wie keine Generation vor ihr in der Situation, selbst für ein gutes Leben im Alter Vorsorge zu treffen.

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Soweit die Stadt Konstanz.

Dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten Jahren steigen wird, ist seit langem bekannt, schließlich ist die demografische Entwicklung in der Tat weitgehend berechenbar, sofern nicht Seuchen oder Weltkriege dazwischenkommen. Der Pflegenotstand war also absehbar, es wurde aber nicht genug unternommen.

Bemerkenswert an dieser Mitteilung der Stadt, die ja ein wichtiger Anbieter solcher Leistungen ist, ist vor allem der letzte Absatz:

Einerseits wird angemahnt, dass man endlich die Empfehlungen des eigenen Handlungsprogramms Pflege umsetzen müsse. Das passt ins Bild, denn das Aufstellen von Handlungsprogrammen in allen möglichen Bereichen droht mittlerweile zu einem Handlungsersatzritual zu werden, bei dem sich alle Beteiligten mit Denkerblick gegenseitig versichern „wir müssen jetzt aber auch schnell ins Handeln kommen“. Im Handlungsprogramm Pflege aus dem Jahr 2023 hieß es unter anderem: „Selbst wenn die beschriebenen Planungen zügig umgesetzt werden, reichen die Angebote der 24-Stunden-Versorgung für 2030 nicht aus, um den steigenden Bedarf zu decken.“ Zumindest in diesem Segment der Pflege hat die Obrigkeit also kapituliert.

Andererseits wird den Betroffenen ziemlich unmissverständlich mitgeteilt, dass sie sich im Fall der Pflegebedürftigkeit nicht auf die öffentlichen Hände verlassen können. Jetzt heißt es also: Rette sich, wer kann.

Wer genug Geld hat, kann sich in ein paar Jahren die benötigten Pflegeleistungen privat einkaufen. Wer nicht genug Geld hat, bleibt allein zu Hause und muss sehen, wie er oder sie irgendwie über die Runden kommt, im besten Fall noch mit Unterstützung der Nachbarschaft. Abgesehen davon, dass niemand konkrete Vorschläge dafür parat hat, wie gering- oder normalverdienende Menschen „selbst für ein gutes Leben im Alter Vorsorge treffen“ können. Mit einem verächtlichen „wenn sie kein Geld haben, sollen sie halt im Lotto gewinnen“ ist kaum jemandem geholfen.

Eine digitale Verbindung zu Kindern an einem fernen Ort oder auf einem anderen Kontinent vermag vielleicht etwas gegen Einsamkeit und Todesangst zu bewirken, hilft aber niemandem beim Einkaufen, Tablettenschlucken oder Windelnwechseln; ein solcher Tipp wirkt in diesem Zusammenhang ebenso zynisch wie der Verweis auf Pflegeroboter, die möglicherweise eines fernen Tages in den Haushalten der Senior*innen einherwatscheln.

Immerhin erklärt die Stadt Konstanz erfrischend ehrlich, dass sie nicht imstande oder willens sei, in diesem zentralen Bereich der Daseinsfürsorge in ausreichendem Maß tätig zu werden (während etwa für das Bofo zur selben Zeit viele Millionen fließen werden). Auch andere Akteure auf diesem Feld sind wohl nicht an der Eröffnung weiterer Pflegeeinrichtungen interessiert, weil diese eines Tages nach dem Tod der geburtenstarken Jahrgänge nicht mehr profitabel sein dürften.

Damit folgt die Stadt dem allgemeinen Trend im dahintaumelnden Gesundheitswesen, wo es in den Wartezimmern immer öfter heißt: „Der Reichste bitte“.

Text: Stadt Konstanz, O. Pugliese, Bild: whitfieldink auf Pixabay

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