Am Donnerstag, 20. Juni, zeigen Studierende der Ethnologie der Universität von 19-20 Uhr im Treffpunkt Petershausen dokumentarische Kurzfilme. Wie kommt die Kacke erst ins Abwasser und dann wieder heraus? Wie kommt die Nadel in den Arm, um dort ein Bild zu hinterlassen? Und wie lebt es sich als Anwohnerin einer Zugstrecke mit dem Lärm der vorbeifahrenden Bahnen?
Auf der Leinwand erscheint ein junger Mann mit blonden Haaren, der auf dem Klo sitzt und von diesem Thron aus Fragen beantwortet. Ich stehe mit Maika Brunn und Jasper Killewald im Treffpunkt Petershausen, um die Technik zu testen. Noch wirkt der Leinwandmann ein wenig angekränkelt gelblich im Gesicht, doch ein Spaziergang durch die Beamereinstellungen schafft Abhilfe. „Ja“, befinden die beiden Studierenden, „so kann man das zeigen“. Sie haben sich in einem Methodenseminar der Ethnologie mit der Gestaltung dokumentarischer Filme beschäftigt, theoretisch und praktisch. Gemeinsam mit Lothar Weller haben sie den Weg der menschlichen Ausscheidungen von der Toilette durch die Abwasserkanäle von Konstanz filmisch begleitet. Dabei begegnen sie den Menschen, die mit – und zum Teil auch in – den Abwässern arbeiten.
In der Ethnologie geht es um die Analyse menschlicher Interaktionen. Es geht darum zu verstehen, wie Menschen sich verhalten, wie sie sich zu Gruppen, Gemeinschaften, Gesellschaften zusammenfügen, was sie zusammenhält und was sie von anderen trennt. Zu diesem Zweck gehen Ethnologinnen und Ethnologen unmittelbar in die Interaktion mit den Menschen, die sie beobachten. Ethnologie ist weder vom Schreibtisch aus noch im Labor möglich. Der Alltag, seine Formen, seine Regeln, seine Offenheiten und sein ganz gewöhnliches Durcheinander soll nicht vor der Untersuchung schon in wissenschaftlich goutierbare Häppchen zerlegt werden, sondern so weit als möglich in seiner ganzen Komplexität erfasst.
Ethnolog:inn:en sind gründlich
Gerade deshalb kommt den Medien der Aufzeichnung von Wahrnehmungen und Beobachtungen eine zentrale Rolle zu. Man kann sich nicht alles merken, gerade wenn man in dichten Alltagssituationen unterwegs ist. Im Unterschied zu naturwissenschaftlichen Laboruntersuchungen, die die Wirklichkeit auf das zu untersuchende Einzelphänomen begrenzen, sind in der Ethnologie die aufgezeichneten Erfahrungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern das Material für die spätere Analyse. Man ist als Ethnologin oder Ethnologe immer Teil der Situation. Das sind andere Wissenschaftler:innen auch, sie reflektieren diese Situation nur meist nicht oder nicht so gründlich wie Ethnolog:inn:en.
Das klassische Speichermedium ist das Feldtagebuch, in dem man Notizen macht, Zeichnungen, Gespräche und Überlegungen notiert. Jedes neue technische Medium erweiterte die Aufzeichnungsmöglichkeiten, brachte aber auch neue Bedingungen der Rekonstruktion beobachteter Wirklichkeit mit sich. Nicht notwendigerweise sagt eine Fotografie mehr als eine Zeichnung oder eine Zeichnung mehr als ein handgeschriebener Text. Jedes Medium öffnet den Blick auf eine und verschließt ihn auf eine andere Weise.
Deshalb ist eine gründliche methodische Ausbildung für angehende Ethnolog:inn:en entscheidend – nur wer die Möglichkeiten und Grenzen seiner Medien kennt, kann diese sinnvoll einsetzen. Maria Lidola, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Ethnologie der Universität Konstanz und Leiterin des Seminars zur Ausbildung von Studierenden an Kamera und Schnittplatz, arbeitet viel mit technischen Aufzeichnungsmedien sowohl akustischer als auch optischer Natur.
Kameramann für die Praxis
Teil der Veranstaltung war ein fünftägiger Workshop mit dem Kameramann Mark Dölling. Hatten die Studierenden im ersten Teil des Seminars sich Gedanken über die Situation des ethnographischen, dokumentarischen Filmemachens und ihre eigene Rolle bei der Erhebung von Beobachtungsdaten und ihrer Repräsentation gemacht, ging es gemeinsam mit Mark Dölling in die Praxis. In fünf Kleingruppen erarbeiteten sie Filme zu unterschiedlichen, selbst gewählten Themen. Dabei begleiteten sie Maria Lidola und Mark Dölling. Wie muss ich einen solchen Film vorbereiten? Welche Erlaubnisse muss ich einholen, wen fragen? Wie ist ein guter Bildaufbau? Wie sollen Bild und Ton aufeinander abgestimmt sein. Möchte man eher mit Interviews arbeiten – talking heads – oder visuell ohne viele Worte eine Geschichte erzählen.
Beim Kaffee nach dem Techniktest erzählen mir Maika Brunn und Jasper Killewald, dass sie stärker das visuelle Erzählen mit wenig Spracheinsatz ausprobiert haben. Im Dreierteam, zu dem auch Lothar Weller gehört, haben sie nicht zum ersten Mal miteinander gearbeitet. Bei den Kurzfilmspielen des Zebrakinos haben sie 2023 den 3. Publikumspreis für ihren Film „Platz“ erhalten.
Im Treffpunkt Petershausen wird ihr Film „Ein stiller Ort“ gezeigt sowie Ausschnitte von Filmen der Seminarleiterin Maria Lidola, die sich unter dem Titel „Kohlefrauen“ mit Frauen im Lausitzer Bergbau beschäftigt hat. Wir freuen uns aufs gemeinsame Filmeschauen und anregende Diskussionen.
„Audiovisuelle Anthropologie: Lehren und Forschen mit Kamera und Mikrofon“, 20. Juni 2024, 19 Uhr, Treffpunkt Petershausen, Georg-Elser-Platz 1, 78467 Konstanz.
Der Eintritt ist frei.
Text: Albert Kümmel-Schnur; Bilder aus dem Film „Ein stiller Ort“
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