Pax Christi auf der Demo gegen die Sicherheitskonferenz in München 2023 © Henning Schlottman (User:H-stt) via Wikipedia

Erwiderung auf den Vorwurf der Israelphobie

4 Kommentare

Pax Christi auf der Demo gegen die Sicherheitskonferenz in München 2023 © Henning Schlottman (User:H-stt) via Wikipedia

Mitte April sorgte eine Verlautbarung des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auch auf seemoz für einige Diskussionen. Jetzt erreichte uns ein offener Brief von pax christi, der auf die damals erhobenen Vorwürfe eingeht.

Hier das ungekürzte Schreiben:

Sehr geehrte Vorstandsmitglieder des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in der Bodensee-Region,

nach Rücksprache mit unserer pax christi Basisgruppe in Ravensburg möchten wir hiermit gerne auf Ihre Stellungnahme […] reagieren.

Ihrer Stellungnahme folgend sehen Sie in den Ausführungen von Frau Farhat-Naser im Rahmen des Vortrags „Palästina/Israel: Trotz Gewalt und Unrecht den Frieden suchen“ am 11. April 2024 im Treffpunkt Petershausen eine Täter-Opfer-Umkehr, die ein klassisches antisemitisches Narrativ bediene. Es gehört zur Tragik des israelisch-palästinensischen Konflikts, dass dieser Vorwurf jederzeit von jeder Seite erhoben werden kann. Die Gräuel des Massakers vom 7. Oktober sind durch nichts zu rechtfertigen. Gleichwohl wurde der abgrundtiefe Hass, der für solche unmenschlichen Taten notwendig ist, nicht nur durch die antizionistische Ideologie der Hamas geschürt. Die Lebensumstände der Menschen in Gaza und im Westjordanland, die seit über 50 Jahre andauernde Besatzung und die Perspektivlosigkeit durch ständige willkürliche Repressalien haben ihren Teil dazu beigetragen. Der Verweis auf eine falsche, verzerrt dargestellte Karte kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Regierung Netanyahu von rechtsradikalen Kräften getragen wird, die von einem Groß-Israel träumen, in welchem es keine palästinensische Bevölkerung mehr gibt und das weit über Israel, Palästina und Jordanien hinausreicht. Diese Regierungsbeteiligung stellt eine weitere Zuspitzung der eh schon angespannten Lage dar. Solche Zusammenhänge nicht sehen zu wollen, ist kein konstruktiver Beitrag zur Lösung des Konflikts. Sumaya Farhat-Naser übt Kritik an der Hamas. Das mag für Kritiker:innen aus den Reihen des Jungen Forums der DIG in der Bodensee-Region nicht weitgehend genug sein. Andererseits: wo liest man, dass Vertreter:innen der DIG zum Stopp der Bombardierungen palästinensischer Zivilist:innen, von Ärzt:innen, Krankenschwestern, Journalist:innen, Müttern und Kindern aufrufen? Was wird also von jemanden erwartet, die mit ansehen muss, was mit der palästinensischen Bevölkerung in Gaza geschieht? Die als palästinensische Christin im Westjordanland tagtäglich der Gewalt marodierender militanter Siedler:innen, die von israelischen Militärs geschützt werden, ausgesetzt ist? Die der speziellen, völkerrechtswidrigen Rechtsprechung unter dem Besatzungsstatut unterworfen ist?

Weil pax christi sich der geschichtlich gewachsenen Komplexität bewusst ist, arbeitet es sowohl auf internationaler, wie auf Bundesebene mit Organisationen zusammen, in denen Israelis und Palästinenser:innen gemeinsam nach Perspektiven für einen gerechten Frieden im Heiligen Land suchen, wie z.B. Parents Circle, Combatants for Peace, Rabbis for Human Rights, bei denen Sumaya Farhet-Nasser hohes Ansehen als Friedensaktivistin genießt. Die Existenz Israels kann nur gesichert werden, wenn es eine realistische Perspektive für einen lebensfähigen palästinensischen Staat gibt. Alle Ansätze, die in der Vergangenheit hierfür gefunden wurden, wurden durch die Fundamentalisten auf beiden (!) Seiten zunichtegemacht. Deshalb kann ein Weg, der in eine lebbare Zukunft weist, nur darin bestehen, Friedensgruppen wie die oben genannten zu unterstützen.

Sumaya Farhat-Naser ist 1948 in Birzeit bei Ramallah geboren. An der Universität von Birzeit hat sie ab 1982 Botanik und Ökologie gelehrt. Davor studierte sie in Deutschland Biologie, Geographie und Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg und promovierte in Botanik. Sie ist Mitbegründerin und Mitglied zahlreicher Organisationen, u.a. von Women Waging Peace an der Harvard- Universität und von Global Fund for Women in San Francisco. Von 1997 bis 2001 war sie Leiterin des palästinensischen Jerusalem Center for Women. In Friedens- initiativen und Frauengruppen sowie in Seminaren mit Jugendlichen setzt sie sich seit Jahrzehnten für Dialog und Gewaltverzicht bei der Lösung des Nahostkonflikts ein. Sieben Bücher von ihr sind im Schweizer Lenos-Verlag erschienen, darunter „Thymian und Steine“. Sumaya Farhat-Naser hat zahlreiche Ehrungen erhalten: die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Münster. 1995 wurde sie mit dem Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte und 1997 mit dem Evangelischen Buchpreis des Deutschen Verbands Evangelischer Büchereien sowie dem Versöhnungspreis Mount Zion Award in Jerusalem ausgezeichnet. Zudem erhielt sie 2000 den Augsburger Friedenspreis, ihr wurden die Hermann-Kesten-Medaille des P.E.N.-Zentrums Deutschland (2002), der Bremer Solidaritätspreis (2002), der Profaxpreis (2003) und der AMOS-Preis für Zivilcourage (2011) verliehen.

Wir hoffen, mit diesen Zeilen zur Klärung der Irritationen beigetragen zu haben.

Freundliche Grüße
Wiltrud Rösch-Metzler, Vorsitzende von pax christi Rottenburg-Stuttgart
Hermann Merkle, Vorsitzender von pax christi Rottenburg-Stuttgart

Symbolbild: Henning Schlottman (User:H-stt) auf Wikipedia. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“.

4 Kommentare

  1. Eckhard Grempels

    // am:

    @𝐉𝐀𝐍𝐎𝐒𝐂𝐇 𝐓𝐈𝐋𝐋𝐌𝐀𝐍𝐍 𝐢𝐬𝐭 𝐢𝐧 𝐚𝐥𝐥𝐞𝐦 𝐳𝐮𝐳𝐮𝐬𝐭𝐢𝐦𝐦𝐞𝐧!
    Ich ergänze:
    1. Transport und Behandlung kranker palästinesischer Kinder (über 2000) in Israel: https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2023-06/israel-palaestina-besatzung-hilfe-freiwillige-krank.html
    2. Herzoperationen auch für Kinder aus Gaza in Israel: https://www.timesofisrael.com/3000th-palestinian-child-has-heart-operation-in-israel-through-save-a-childs-heart/
    3. Die Grenzen des Boykotts: Eine neue Lunge vom „Apartheidstaat“: https://www.mena-watch.com/die-grenzen-des-boykotts-eine-neue-lunge-vom-apartheidstaat/

    𝐙𝐮 𝐒𝐮𝐦𝐚𝐲𝐚 𝐅𝐚𝐫𝐡𝐚𝐭-𝐍𝐚𝐬𝐞𝐫
    Man muss ja nicht alles zweimal schreiben, deshalb unser Leserbriefes vom 11. APRIL 2024 für die, die ihn noch nicht kennen:

    „Mit Entsetzen haben wir den Hinweis auf die Veranstaltung mit Sumaya Farhat-Naser gelesen. Vor ein paar Jahren trat sie schon einmal an der Geschwister-Scholl-Schule vor Oberstufenschülern und -schülerinnen auf, weil sie von einer evangelischen Organisation der Fachschaft Religion angetragen wurde. Zum Glück wurden Kollegen hellhörig, u.a. ein Religionslehrer. Wir – 3 Lehrer und ein Schulsozialarbeiter – waren also auch bei ihrem Vortrag, der vor Einseitigkeit, Geschichtsvergessenheit und Empathielosigkeit gegen Israelis nur so triefte: Kein Hinweis auf die 3 Kriege mit dem Ziel Israel zu vernichten und Massaker zu begehen. Beim Thema „böse Mauer“ gab es natürlich keinen Hinweis auf den Grund für den Mauerbau: Intifada-Selbstmordattentäter (ca. 150 während der 2. Intifada), die sich in Bussen, an Bushaltestellen und in Cafés zu den 72 Jungfrauen ins Paradies beförderten und Hunderte Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder in die Hölle. Als Sahnehäubchen präsentierte sie uns dann noch eine Serie von gefälschten Landkarten, die unter antisemitischen Israelhassern weitverbreitet ist und in den sozialen Medien herumgereicht wird, in denen 95% der Betrachter keine Ahnung von der Wahrheit haben oder haben wollen. Gerne sind wir bereit, die üblen geographisch-politischen Fälschungen und Verdrehungen Interessierten zu dokumentieren. Hier geht das ja nicht. Beispielsweise zeigte eine Karte Gaza und die Westbank als Land „Palästina“, das es nie gab, obwohl Gaza bis 1967 von Ägypten besetzt war und die Westbank bis 1967 sogar von 𝐉𝐨𝐫𝐝𝐚𝐧𝐢𝐞𝐧 𝐚𝐧𝐧𝐞𝐤𝐭𝐢𝐞𝐫𝐭𝐞𝐬 𝐒𝐭𝐚𝐚𝐭𝐬𝐠𝐞𝐛𝐢𝐞𝐭 𝐰𝐚𝐫. Passend dazu zeigte die nächste Karte diese Gebiete dann ab 1967 als israelisches Staatsgebiet, nicht als von Israel besetzte Gebiete.
    Sprach man die Dame auf die Bedeutung der Kriege, den Grund für den Mauerbau und ihre absurden Karten an, war ganz schnell vorbei mit freundlich: Ihre Stimmung kippte!“

  2. Wolfgang Daub

    // am:

    Was ist das für eine grenzenlose Naivität?

    Wer hat denn mit wessen Geld zu welchem Zweck die „U-Bahn“ in Gaza gebaut?

    Und wieder kein Wort dazu, dass das Elend nicht nur in Rafah sofort gelindert werden könnte, wenn die Hamas die Geiseln frei lassen, die Waffen niederlegen und sich ergeben würde!

    Die Gleichstellung demokratisch gewählter Regierungsvertreter Israels mit ideologisch verblendeten Mördern der Hamas nicht nur durch den Ankläger des IStGH, sondern auch durch angebliche „Christen“ hilft nur den Terroristen!

    Und das Ignorieren der Tatsache, dass in den letzten Jahren fast jährlich in Israel gewählt wurde, mit fast immer dem gleichen Ergebnis, einer demokratischen Mehrheit rechts der Mitte, lässt mich fragen, inwieweit angebliche „Christen“ hierzulande überhaupt bereit sind die Demokratie Israels zu akzeptieren!?

    Abschließend kann ich Herrn Volk zustimmen: ein Staat, der demokratisch, förderal und sozial für alle dort lebenden Menschen ist, ist für mich die einzige realistische Perspektive!

  3. Janosch Tillmann

    // am:

    Liebe Pax Vorstands-Mitglieder,

    Sie schreiben, dass das Pogrom der Hamas von 7.10. durch nichts zu rechtfertigen sei und bemühen danach eine Erklärung, für diese Tat, die aber eben für sich steht. Man kann sich nicht, im Stil einer SS-Einsatzgruppe, durch Ortschaften schlachten und das damit legitimieren, dass die Perspektivlosigkeit dazu beigetragen hätte. Würde ich eine vergleichbare Argumentation Bemühen, um rassistische Übergriffe und Pogrome in Deutschland zu legitimieren (Perspektivlosigkeit, Verlust der Lohnarbeit etc.), würde man mir zurecht eine Verharmlosung der Taten oder der Täter vorwerfen. So Wenig, wie der Verlust eines Arbeitsplatzes mir das Recht gibt, einen migrantisierten Menschen zu attackieren, so wenig gibt es das Recht, ein Baby lebendig in einen Backofen zu stecken oder massenhaft Frauen zu vergewaltigen und zu ermorden, weil ich Perspektivlos bin.

    Zudem schreiben Sie, dass die Massenmordaktion vom 7.10. nicht nur durch „die antizionistische Ideologie der Hamas geschürt.“ wurde. Da ich Ihre Organisation bereits in der Vergangenheit kennengelernt habe, nehme ich NICHT an, dass Sie Antizionismus und Antisemitismus gleichsetzen. Aber auch wenn Sie das täten, so sollten Sie sich die Charta der Hamas zu Gemüte führen, die ganz klar aufzeigt, dass der Anspruch der Hamas die Vernichtung jüdischen Lebens insgesamt ist. Das betrifft nicht nur Israel. Die Hamas macht deutlich, dass die Erlösung der Menschheit davon ausgeht, dass ALLE Juden vernichtet werden – sie ist klar Antisemitisch.

    Auch die Besatzung in Teilen des Westjordanlands kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Fatah es seit 1994 nicht wirklich gebacken bekommt, die rudimentärsten Aufgaben einer Verwaltung zu erfüllen, wo sie etwas zu sagen hat. Und auch die Hamas ist nicht Willens und in der Lage, seit 2006 im Gazastreifen irgendetwas zu regeln, außer Repression, Terror, Verfolgung und Mord. Was also soll die Perspektive der Menschen dort sein?

    Zudem schreiben Sie, dass die Regierungsbeteiligung von rechtsradikalen Kräften (die in Israel so stark bekämpft wurden, wie es wohl Weltweit einzigartig ist) eine Zuspitzung der Lage darstellen. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hamas eben genau die Menschen attackiert und ermordet hat, die für Frieden standen und um einen Ausgleich bemüht waren. Ein großer Anteil der ermordeten vom 7.10. waren friedensaktive Bürger des Staates Israel. Netanjahu kann von solchen Karten träumen, solange er will, er wird so einem Ziel aber wirklich näherkommen, wenn die Hamas und andere, die ausgestreckte Hand zum Frieden abschlagen anstatt sie zu nehmen. Genau das ist in den letzten Jahren passiert. Netanjahu hat vor allem deshalb gewonnen, weil es offensichtlich keine Friedensperspektive mit den Palästinensern gab.

    Dann schreiben Sie: „Andererseits: wo liest man, dass Vertreter:innen der DIG zum Stopp der Bombardierungen palästinensischer Zivilist:innen, von Ärzt:innen, Krankenschwestern, Journalist:innen, Müttern und Kindern aufrufen? Was wird also von jemanden erwartet, die mit ansehen muss, was mit der palästinensischen Bevölkerung in Gaza geschieht?“

    Die DIG fordert doch die Freilassung der Geiseln. Das ist die Vorrausetzung dafür, dass diese Runde des Konflikts endet. Und sie fordert das Ende der Hamas, das ist die Vorrausetzung, dass Menschen in Gaza offen als „:innen“ leben können. Dieselbe Erwartung kann man auch an jeden anderen haben. Die Ursache für DIESEN Krieg, ist der Terror der Hamas. Diese Organisation hatte fast 20 Jahre Zeit aus Gaza etwas zu machen. Die Voraussetzungen waren, dank israelischer und internationaler Unterstützung, gut. Lebenserwartung dort war höher als in den meisten Ländern der Region, die Kindersterblichkeit niedriger. Die Leute konnten sich auch in israelischen Krankenhäusern behandeln lassen ((Sinwar, der Führer der Hamas in Gaza wurde von israelischen Ärzten gerettet, als er einen Tumor hatte) https://www.tagesspiegel.de/tumoroperation-in-israel-2004-israelischer-arzt-der-hamas-chef-sinwar-das-leben-rettete-bereut-es-heute-10698811.html) und es gab beständig ansteigende Arbeitsvisa für Arbeiter aus Gaza in Israel (die diese Arbeiter ja teilweise nutzten, um als Späher taktische Karten für den 7.10. anzulegen). Sie hat es nur geschafft aus Gaza eine Basis für Judenmord zu machen und die eigene Bevölkerung zu terrorisieren und zu bespitzeln (https://www.spiegel.de/ausland/gaza-hamas-soll-seit-jahren-mit-eigener-geheimpolizei-palaestinenser-bespitzeln-a-d6d56439-d372-4536-9f84-d038858acb89)

    Was die Unterwerfung unter das Besatzungsstatut angeht: Es scheint so grausam zu sein, dass Frau Sumaya Farhat-Naser während des Krieges ausreisen kann, um im Treffpunkt Petershausen einen Vortrag darüber zu halten, wie böse Israel ist.

  4. Werner Volk

    // am:

    Ein vermittelnder Beitrag mit dem Ansinnen, objektiv den Konflikt zu betrachten. Selten in Zeiten der Polarisierungen. Auch zu diesen Beitrag gern eine Gegenrede. Ich z.B. bin Anhänger einer Einstaatenlösung mit förderalen Strukturen. Staats – und Regionalgrenzen sind Macht – und Unterdrückungs symbole und nationale Identitäten patriarchal aufgeladen und anfällig für Hegemonialstreben.
    Blickt man aus dem Universum auf den Planeten Erde, sieht man keine Grenzen.

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