Mitte April sorgte eine Verlautbarung des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auch auf seemoz für einige Diskussionen. Jetzt erreichte uns ein offener Brief von pax christi, der auf die damals erhobenen Vorwürfe eingeht.
Hier das ungekürzte Schreiben:
Sehr geehrte Vorstandsmitglieder des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in der Bodensee-Region,
nach Rücksprache mit unserer pax christi Basisgruppe in Ravensburg möchten wir hiermit gerne auf Ihre Stellungnahme […] reagieren.
Ihrer Stellungnahme folgend sehen Sie in den Ausführungen von Frau Farhat-Naser im Rahmen des Vortrags „Palästina/Israel: Trotz Gewalt und Unrecht den Frieden suchen“ am 11. April 2024 im Treffpunkt Petershausen eine Täter-Opfer-Umkehr, die ein klassisches antisemitisches Narrativ bediene. Es gehört zur Tragik des israelisch-palästinensischen Konflikts, dass dieser Vorwurf jederzeit von jeder Seite erhoben werden kann. Die Gräuel des Massakers vom 7. Oktober sind durch nichts zu rechtfertigen. Gleichwohl wurde der abgrundtiefe Hass, der für solche unmenschlichen Taten notwendig ist, nicht nur durch die antizionistische Ideologie der Hamas geschürt. Die Lebensumstände der Menschen in Gaza und im Westjordanland, die seit über 50 Jahre andauernde Besatzung und die Perspektivlosigkeit durch ständige willkürliche Repressalien haben ihren Teil dazu beigetragen. Der Verweis auf eine falsche, verzerrt dargestellte Karte kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Regierung Netanyahu von rechtsradikalen Kräften getragen wird, die von einem Groß-Israel träumen, in welchem es keine palästinensische Bevölkerung mehr gibt und das weit über Israel, Palästina und Jordanien hinausreicht. Diese Regierungsbeteiligung stellt eine weitere Zuspitzung der eh schon angespannten Lage dar. Solche Zusammenhänge nicht sehen zu wollen, ist kein konstruktiver Beitrag zur Lösung des Konflikts. Sumaya Farhat-Naser übt Kritik an der Hamas. Das mag für Kritiker:innen aus den Reihen des Jungen Forums der DIG in der Bodensee-Region nicht weitgehend genug sein. Andererseits: wo liest man, dass Vertreter:innen der DIG zum Stopp der Bombardierungen palästinensischer Zivilist:innen, von Ärzt:innen, Krankenschwestern, Journalist:innen, Müttern und Kindern aufrufen? Was wird also von jemanden erwartet, die mit ansehen muss, was mit der palästinensischen Bevölkerung in Gaza geschieht? Die als palästinensische Christin im Westjordanland tagtäglich der Gewalt marodierender militanter Siedler:innen, die von israelischen Militärs geschützt werden, ausgesetzt ist? Die der speziellen, völkerrechtswidrigen Rechtsprechung unter dem Besatzungsstatut unterworfen ist?
Weil pax christi sich der geschichtlich gewachsenen Komplexität bewusst ist, arbeitet es sowohl auf internationaler, wie auf Bundesebene mit Organisationen zusammen, in denen Israelis und Palästinenser:innen gemeinsam nach Perspektiven für einen gerechten Frieden im Heiligen Land suchen, wie z.B. Parents Circle, Combatants for Peace, Rabbis for Human Rights, bei denen Sumaya Farhet-Nasser hohes Ansehen als Friedensaktivistin genießt. Die Existenz Israels kann nur gesichert werden, wenn es eine realistische Perspektive für einen lebensfähigen palästinensischen Staat gibt. Alle Ansätze, die in der Vergangenheit hierfür gefunden wurden, wurden durch die Fundamentalisten auf beiden (!) Seiten zunichtegemacht. Deshalb kann ein Weg, der in eine lebbare Zukunft weist, nur darin bestehen, Friedensgruppen wie die oben genannten zu unterstützen.
Sumaya Farhat-Naser ist 1948 in Birzeit bei Ramallah geboren. An der Universität von Birzeit hat sie ab 1982 Botanik und Ökologie gelehrt. Davor studierte sie in Deutschland Biologie, Geographie und Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg und promovierte in Botanik. Sie ist Mitbegründerin und Mitglied zahlreicher Organisationen, u.a. von Women Waging Peace an der Harvard- Universität und von Global Fund for Women in San Francisco. Von 1997 bis 2001 war sie Leiterin des palästinensischen Jerusalem Center for Women. In Friedens- initiativen und Frauengruppen sowie in Seminaren mit Jugendlichen setzt sie sich seit Jahrzehnten für Dialog und Gewaltverzicht bei der Lösung des Nahostkonflikts ein. Sieben Bücher von ihr sind im Schweizer Lenos-Verlag erschienen, darunter „Thymian und Steine“. Sumaya Farhat-Naser hat zahlreiche Ehrungen erhalten: die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Münster. 1995 wurde sie mit dem Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte und 1997 mit dem Evangelischen Buchpreis des Deutschen Verbands Evangelischer Büchereien sowie dem Versöhnungspreis Mount Zion Award in Jerusalem ausgezeichnet. Zudem erhielt sie 2000 den Augsburger Friedenspreis, ihr wurden die Hermann-Kesten-Medaille des P.E.N.-Zentrums Deutschland (2002), der Bremer Solidaritätspreis (2002), der Profaxpreis (2003) und der AMOS-Preis für Zivilcourage (2011) verliehen.
Wir hoffen, mit diesen Zeilen zur Klärung der Irritationen beigetragen zu haben.
Freundliche Grüße
Wiltrud Rösch-Metzler, Vorsitzende von pax christi Rottenburg-Stuttgart
Hermann Merkle, Vorsitzender von pax christi Rottenburg-Stuttgart
Symbolbild: Henning Schlottman (User:H-stt) auf Wikipedia. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“.
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