Wer öfters von der Polizei festgenommen wird, weiß, was dann passiert. Und wie lange eine Inhaftierung dauern kann. Unsere Autorin von der Konstanzer Gruppe der Letzten Generation sitzt nach einer Klebeaktion in Berlin zum ersten Mal hinter Gittern. Und schildert hautnah, was da abgeht.
Was bisher geschah: Die Klimaaktivistinnen Elle, Isabelle und Eileen Blum sind in einer der fünf Berliner Gefangenensammelstellen eingesperrt, „als die Tür zu unserer Zelle auffliegt und etwas dumpf auf den Boden fällt“. Es ist L., die jede Kooperation verweigert, später dann aber anfängt, Origamifiguren zu basteln.
Ich geselle mich wieder zu Elle, Ina scheint immer noch zu schlafen.
Für eine Weile ist es eine super Beschäftigung, winzige Origamifiguren herzustellen. Doch irgendwann wird auch das langweilig. Zumal ich mich immer schlechter konzentrieren kann. Der Schlafmangel und der Hunger fordern immer penetranter ihren Tribut. Ich versuche, mich wieder hinzulegen. Ungewisse Zeit später kommt noch ein ganzer Schwung weiterer Aktivistinnen zu uns in die Zelle. Sie sind gegen dreizehn Uhr von der Straße gelöst worden und waren danach noch eine halbe Ewigkeit im Polizeikessel und dem Getra, dem Gefangenentransport. Das heißt, ich bin schon mindestens drei Stunden hier. Vermutlich eher an die vier Stunden plus. So viel zum Thema, „nur kurz Identitätserfassung und nach spätestens einer Stunde wieder frei“. Elle versucht die Polizisten zu fragen, wie lange wir voraussichtlich noch in der Gesa, der Gefangenensammelstelle, bleiben müssen, wird aber komplett ignoriert.
Als ich aufstehe, um den neuen Aktivistinnen Platz zu machen, rinnt ein Schwall klebrig-warmes Blut meine Beine hinunter. Eine unschöne Erinnerung daran, dass ich ausgerechnet heute meine Tage bekommen habe und der Tampon von heute morgen durch ist. Ich klingle nach der Polizeiwache. Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis sich jemand blicken lässt. Es ist der dicke Polizist vom Anfang. „Was gibt’s?“ „Ich würde gerne aufs Klo gehen“, sage ich. „Ich bräuchte dazu aber noch einen Tampon aus meinem Rucksack.“ „Ne“, sagt der Polizist und schließt die Tür.
Ich setzte mich wieder, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll. Die ganze Situation kommt mir immer absurder vor. Die Polizei muss uns eigentlich menschenwürdig behandeln. Ich habe ein Recht darauf, auf die Toilette zu dürfen. Nur, dass mir das in meiner aktuellen Situation nicht viel bringt.
Billig, aber immerhin
Irgendwann geht die Tür wieder auf und eine kleine blonde Polizistin schaut herein. „Mein Kollege meinte, eine von euch muss aufs Klo?“ Ich stehe auf. Erleichtert, dass doch auf meine Bitte reagiert wurde. Die Polizistin gibt mir wortlos eine pfludrige weiße Einlage ohne Klebestreifen. Ein bisschen wie die Inkontinenzeinlagen im Krankenhaus. Nur etwas kleiner und billiger. Ich werde bis zum Klo begleitet, darf dann zum Glück aber alleine auf die Toilette. Hinterher kontrolliert die Polizistin noch einmal den Raum. Sie sagt nicht viel, aber irgendwie wirkt sie trotzdem wesentlich netter und verständnisvoller als all die anderen Polizisten hier.
Wieder zurück versuche ich nochmal ein wenig zu schlafen. Mittlerweile bereitet mir jeder klare Gedanke zunehmend Mühe. Kein Wunder, dass Schlafentzug in anderen Ländern als Foltermethode verwendet wird.
Weitere Aktivistinnen kommen zu uns in die Zelle. Sie sind von verschiedenen Blockadeorten und wurden scheinbar willkürlich für die Gesa ausgewählt, während andere Leute aus derselben Aktion ohne Platzverweis direkt gehen durften. Ich setze mich wieder auf und höre dem kurzen Gespräch zu. Ina ist die einzige, die immer noch liegt.
Wie Kaugummi
Elle klingelt und fragt, ob sie auch auf die Toilette darf und wie lange wir noch hierbleiben müssen. „Das habt ihr euch selber eingebrockt. Jetzt habt euch mal nicht so“, ist die barsche Antwort, die sie daraufhin erhält. Beinahe zeitgleich schließt der Polizist die Türe. „Halt!“, schreit Elle klingelt nochmal. „Was ist denn jetzt schon wieder los?“, fragt der Polizist sichtlich genervt. „Ich muss aufs Klo.“
„Hmpf. Ja dann komm mit.“ – „Kann ich eine Binde haben?“ – „Sag bloß, du hast auch deine Tage?“ Der Polizist blafft sie geradezu an. „Kann doch gar nicht sein, dass ihr jetzt alle plötzlich eure Tage habt!“ Er knallt Elle die Türe direkt vor der Nase zu.
Einige Minuten später kommt wieder die kleine blonde Polizistin herein und bedeutet Elle wortlos, ihr zu folgen. Wir anderen bleiben betreten schweigend zurück.
Eine gefühlte Ewigkeit später kommt Elle wieder und wir schweigen zusammen weiter. Eine der größten Herausforderungen in Gewahrsam ist der eigene Kopf. Meine Gedanken beginnen wieder, sich im Kreis zu drehen. Irgendwann empfinde ich nur noch Leere und die Zeit zieht sich wieder wie Kaugummi. Langsam beginne ich, mich mit dem Gedanken anzufreunden, eventuell über Nacht bleiben zu müssen. Theoretisch kann die Polizei uns bis zu zwei Tage ohne rechtskräftiges Urteil festhalten. Freitag muss ich wieder arbeiten. Das wird dann knapp mit der Rückfahrt …
Klebefingerabdrucke
Die Tür geht auf. Weitere Beschlüsse von der Haftrichterin werden an nicht-kooperierende Aktivistinnen verteilt. In den folgenden Stunden werden alle von ihnen der Reihe nach hinausgebeten. Zwei kommen wieder zurück. Anscheinend hat die Haftrichterin bei ihnen die Anfrage der Polizei zurückgewiesen. Vom Rest wissen wir nichts. Vielleicht wurden sie freigelassen, vielleicht sitzen sie jetzt irgendwo in Einzelhaft. Elle versucht jedes Mal zu fragen, wie lange wir noch bleiben müssen, erhält aber nie eine Antwort.
Irgendwann kommen wieder zwei Polizisten hinein. Elle und ich werden aufgerufen und aufgefordert mitzukommen. Ich bin ein bisschen überrascht, dass jetzt doch endlich mal etwas passiert. Ein Polizist vorne, ein Polizist hinten werden wir beide im Gänsemarsch durch lange Flure und ein paar Treppen hinunter geführt. Der Raum, in dem wir schließlich ankommen, ist relativ groß. An je einem Schreibtisch sitzen zwei Polizeibeamte und bedeuten uns näherzutreten. Mir werden durch eine Plexiglasscheibe zahlreiche Fragen zu meinen Personalien gestellt. Wie ich heiße, wo ich wohne, meine Staatsangehörigkeit, mein Familienstand, was ich arbeite. Ich mache keine Aussage. Alles was die Polizei wissen muss, kann sie auf meinem Pass nachlesen. Der Rest ist meine Privatsache.
Ich werde gebeten, meine Finger auf eine Glasplatte zu legen, damit Abdrücke genommen werden können. Ich tue wie geheißen. Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis der Polizist endlich zufrieden scheint. Wegen des Klebers, der über die komplette Hand verteilt ist, sind meine Fingerabdrücke nur schlecht zu erkennen.
Fotos von allen Seiten
Während ich ruhig dastehe und meine Hände in verschiedenen Positionen auf das Glas drücke, fällt mir auf, wie schnell mein Puls geht. Vermutlich bin ich doch irgendwo aufgeregt, auch wenn mir psychisch mittlerweile so gut wie alles egal ist.
Ich soll mich auf einen Hocker vor einer weiß gestrichenen Wand setzen. Es werden Portraits von allen Seiten und Perspektiven gemacht. Es braucht unglaublich viele Fotos, bis der Polizist auch hier endlich zufrieden ist.
Die ganze Prozedur fühlt sich ein bisschen unwirklich an, ein bisschen fehl am Platz und ein bisschen wie im Film, wenn Schwerverbrecher gefasst werden. Irgendwann kommt dann doch auch die Angst wieder hoch. Angst vor dem Strafbefehl, der Gerichtsverhandlung, was meine Eltern und mein Freund dazu sagen werden. Dann ist es vorbei.
Wir nehmen einen anderen Weg zurück und für einen Moment hoffe ich, dass wir endlich freigelassen werden, aber es geht doch nur wieder zurück zur Zelle, wo die stickig-rauchige Luft mich geradezu erschlägt.
Inzwischen fünf Stunden
Wieder warten wir. L. wurde in der Zwischenzeit auch weggebracht und der Haftrichterin vorgeführt. In unbestimmten Zeitabständen kommen Polizisten vorbei und verkünden erste Entlassungen. Die zwei verbleibenden nicht-kooperativen Aktivistinnen dürfen gehen, dann ein paar von denen, die ganz zuletzt in die Zelle gekommen sind. Es fühlt sich an wie reine Willkür. Elle fragt weiterhin jedes Mal, wie lange wir noch bleiben müssen. Wir waren die ersten, die gekommen sind. Wir wurden nur mit dem Befehl „Identitätsfeststellung und dann frei“ hergebracht. Wir haben klar kommuniziert, dass wir heute nicht mehr auf die Straße gehen wollen. Sie haben unsere Identität seit bestimmt zwei Stunden. Insgesamt sind wir geschätzt schon an die vier bis fünf Stunden hier in der Zelle.
Wieder wird Elle nur wahlweise beleidigt oder ignoriert. Mir fällt auf, dass sie immer noch nichts getrunken hat. Sie sieht müde aus und unendlich fertig mit der Welt.
Ich überlege, ob ich mich nochmal hinlegen soll, als Isa sich mit einem Mal zu regen beginnt, sich aufsetzt. Ihr Blick wirkt ein wenig glasig und leicht desorientiert. Sie steht auf, läuft zum Fenster, steht dort eine ganze Weile, obwohl es offensichtlich nichts zu sehen gibt, läuft ein bisschen ziellos im Raum umher und stellt sich erneut ans Fenster. Ich stehe auf, gehe zu ihr, bemühe mich, nicht hinzufallen, weil ich schon wieder kein Gefühl mehr in meinem Fuß habe. „Alles okay?“
Aus der Nähe fällt mir auf, wie bleich sie ist. Sie atmet anders als vorhin. Tiefer, abgehackter. „Ich“, sie macht eine kurze Pause und schluckt, „Migräne“. Sie macht eine unbestimmte Handbewegung. „Die Luft.“
Im Krankenhaus problemos. Aber hier?
„Kann ich dir irgendwie helfen?“ – Sie schluckt schon wieder und schüttelt den Kopf. „Ich hab Ibuprofen im Rucksack. Wenn ich die rechtzeitig nehme, hilft das normalerweise ganz gut.“ – „Soll ich klingeln und fragen, ob du welche bekommen kannst?“
Sie schüttelt den Kopf. „Hab ich schon vorhin, als ich auf dem Klo war. Aber die Polizisten wollten mir das nicht geben.“ Ich nicke. „Sag, wenn du Hilfe brauchst.“
Ich setze mich wieder hin und behalte Isa aus den Augenwinkeln im Blick. Ich hoffe, dass sie sich nicht zu sehr beobachtet fühlt. In meinem Kopf gehe ich alle medizinischen Möglichkeiten durch, die mir gerade einfallen. Wäre sie meine Patientin im Krankenhaus gewesen, hätte ich das Problem innerhalb weniger Minuten mit einem Zugang und ein paar Medikamenten recht sicher lösen können. Aber hier? Die Medikamente, die wir haben, sind unerreichbar. Alle nicht-medikamentösen Methoden helfen in dem Stadium wahrscheinlich nicht mehr gut genug.
Isa läuft wieder im Raum umher, setzt sich mir gegenüber hin und atmet zitternd ein und aus. Elle und ich wechseln einen langen Blick. Ich drücke auf die Klingel. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ fragt ein bulliger Polizist unglaublich genervt.
Elle und ich schauen uns für einen Herzschlag unsicher an, um zu klären, wer von uns spricht. „Dann halt nicht“, schnauzt er unglaublich unfreundlich und schlägt die Türe mit lautem Knall hinter sich zu. Elle und ich starren uns ungläubig an. Ich drücke nochmal auf die Klingel. Die Minuten vergehen, aber niemand kommt. Von der anderen Seite des Raums höre ich, wie Ina wieder heftig zu atmen beginnt. Ich gehe zu ihr, während Elle die Beine anzieht, sich als kleines verlorenes Päckchen in der Ecke zusammenkauert und teilnahmslos vor sich hinstarrt.
Text: Eileen Blum von der seemoz-Klimablog-Redaktion
Fotos (oben Blick in einer Berlinger Gefängnis): Matthew Ansley auf Unsplash / (Mitte LG-Aktion in Konstanz mit Eileen Blum): Pit Wuhrer / unten (Opfer der Flut 2022 in Pakistan): medico international
Die Reihe „Asphaltgeschichten“ wird fortgesetzt.
Bisher sind erschienen:
27.06.2023 | Asphaltgeschichten (1). Die Anreise
03.07.2023 | Asphaltgeschichten (2). Auf der falschen Blockade
10.07.2023 | Asphaltgeschichten (3). „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
31.07.2023 | Asphaltgeschichten (4). „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
03.08.2023 | Asphaltgeschichten (5). „Hoffnung ist Handarbeit“
06.09.2023 | Asphaltgeschichten (6): Das „Weiter so“ bringt uns um
14.09.2023 | Asphaltgeschichten (7): Der Blick in die Augen
30.10.2023 | Asphaltgeschichten (8): Die ungestellte Frage
07.11.2023 | Asphaltgeschichten (9): Im Transporter
10.11.2023 | Asphaltgeschichten (10): Vorgeführt und eingeschlossen
12.04.2024 | Asphaltgeschichten (11): Knastgedanken
16.04.2024 | Asphaltgeschichten (12): Die Idioten und wir
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