Pakistan gehört zu den Staaten, die zunehmend unter dem Klimawandel leiden – und unter dem Diktat internationaler Finanzorganisationen wie dem Internationalen Währungsfonds IWF. Aber nicht nur dort stecken die Menschen seit langem in einem teuflischen Kreislauf von Unterdrückung und Katastrophen. Gibt es einen Ausweg?
„Die Schulden können nicht zurückgezahlt werden. Wenn wir sie nicht zurückzahlen, stirbt niemand. Das ist sicher. Doch wenn wir sie zurückzahlen, sterben wir. Auch das ist sicher.“ Das sagte Thomas Sankara, Präsident von Burkina Faso, auf einem Gipfeltreffen der Organisation für Afrikanische Einheit 1987 – wenige Monate, bevor er mit Unterstützung des französischen Geheimdienstes ermordet wurde.
Als im Sommer 2022 Pakistan unter Wasser stand (siehe dazu den seemoz-Beitrag von vorletzter Woche) und klar war, dass zwischen 10 und 30 Milliarden US-Dollar benötigt werden, um die Schäden zu beseitigen, versprach der IWF Pakistan 1,1 Milliarden Dollar Nothilfe – unter der Bedingung weiterer Sparmaßnahmen. Aber wie soll das gehen? Schon heute muss der pakistanische Staat rund vierzig Prozent seiner Einnahmen für Zinsen ausgeben – ohne eine Chance, den Schuldenberg abzubauen. Also retteten sich die Regierungen vor der stets drohenden Zahlungsunfähigkeit, indem sie unter der Zusage weiterer Sparmaßnahmen, Privatisierungen und Deregulierungen neue Kredite aufnahmen.
In dieser Hinsicht ist Pakistan kein Einzelfall. Das UN-Entwicklungsprogramm schätzt, dass derzeit über fünfzig Länder im globalen Süden kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Die meisten dieser Staaten leiden seit Jahrzehnten unter den ihnen beständig aufgezwungenen Strukturanpassungsprogrammen. Und unter der sich beständig verschlimmernden Klimakrise.
Beides zusammen schafft eine Lage, die kaum auszuhalten ist. Hinzu kommen globale Verwerfungen – etwa die Covid-Pandemie und der Ukraine-Krieg. Diese toxische Mischung macht die hohe Auslandsverschuldung untragbar, nicht nur in Pakistan. In einer kürzlich veröffentlichten Studie warnen die beiden Ökonomen Anis Chowdhury und Jomo Kwame Sundaram vor einer kommenden weltweiten Pleitewelle, die „wahrscheinlich schlimmer“ ausfallen könnte „als die der frühen 1980er Jahre, da mehr Länder aufgrund höherer und risikoreicherer Schulden viel anfälliger sind“.
Die Verdammten dieser Erde
Stehen wir heute also am Beginn einer neuen Schuldenkrise? Im Zuge der in den 1980er Jahren verordneten Strukturanpassungsprogramme brach in vielen Ländern des globalen Südens das ohnehin sehr niedrige Pro-Kopf-Einkommen zusammen. Der IWF und die Weltbank legten den Grundstein für die heutige Schuldenkrise, durchkreuzten Anstrengungen zur Entkolonialisierung und degradierten den globalen Süden zum bloßen Lieferanten von Rohstoffen und billigen Arbeitskräften für den globalen Norden.
Eine noch größere Schuldenkrise würde aber die Karten der weltweiten Wirtschaftspolitik neu mischen. Und könnte die Lebensgrundlagen vieler Millionen Menschen zerstören – beispielsweise dann, wenn die Länder den hohen Zahlungsforderungen nicht mehr nachkommen können und eine globale Pleitewelle einsetzt, die auch die westliche Finanzwelt erfasst und exponierte Finanzkonzerne wie BlackRock trifft.
Aber ist es moralisch zu rechtfertigen, dass jemand seine/ihre Schulden nicht begleicht? Schließlich müssen geliehene Sachen zurückgegeben werden. Oder nicht? Im Fall der jahrhundertelang kolonial unterdrückten Länder sieht das jedoch anders aus. Der große antikoloniale Vordenker Frantz Fanon (1925–1961) schrieb vor über sechzig Jahren in seinem Buch „Die Verdammten dieser Erde“, dass der „Reichtum der imperialistischen Nationen auch unser Reichtum ist“ und dass „die Reichtümer, an denen Europa erstickt, den unterentwickelten Völkern geraubt“ worden seien. Die Kolonialherren, so Fanons Überzeugung, hätten ihre Schuld den Unterdrückten gegenüber noch lange nicht beglichen.
Reparationen auch für die Klimaschuld
Statt über unsere angeblichen Wohltaten, über großzügige Darlehen an und Entwicklungshilfen für den globalen Süden zu reden, sollten wir über Entschädigung für die jahrhundertelange Ausbeutung sprechen. Also über Reparationen, die den noch immer ausgebeuteten Ländern zustehen. Schließlich war es die Ausbeutung der kolonisierten Völker dieser Welt, die die wirtschaftliche Entwicklung Europas und seiner Siedlungskolonien erst ermöglichte. Antikoloniale Denker wie Frantz Fanon haben dies bereits lange erkannt.
Durch die Klimakrise gibt es mittlerweile eine weitere Komponente, die bei Reparationen bedacht werden muss: Sie wurde nur marginal von den Ländern verursacht, die momentan am meisten darunter leiden. Was benötigt wird, sind Klimareparationen.
In einer kürzlich veröffentlichten Studie berechneten Andrew Fanning und Jason Hickel, wie viel Emissionen jeder Staat bisher hätte ausstossen dürfen (und noch darf), um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Dabei kommen sie zu dem – wenig überraschenden – Ergebnis, dass einige Staaten, insbesondere Länder des globalen Nordens, ihren Anteil am 1,5-Grad-Budget deutlich überschritten haben (und weiter überschreiten). Und viele Länder, vor allem im globalen Süden, ihren Anteil nicht in Anspruch nahmen und nehmen.
Mit anderen Worten: Der reiche Norden hat gewissermaßen den Anteil des armen Südens am CO2-Budget in Beschlag genommen. Und müsste dafür einen Ausgleich zahlen.
200.000 Milliarden US-Dollar
Die beiden Autoren veranschlagten dafür einen CO2-Preis, der im Laufe der Zeit steigt und die entstandenen Schäden berücksichtigt. In ihrer Studie bewegt sich dieser Preis nahe an den vom Umweltbundesamt vorgeschlagenen 180 € pro Tonne für das Jahr 2019. Dann steigt er – so die Annahme – bis zum Jahr 2030 auf etwa 200 US-Dollar und erreicht 2050 rund 550 US-Dollar pro Tonne CO2.
Unter dieser Annahme würde den Ländern, deren CO2-Budget vom Norden beansprucht wurde, eine Entschädigung von etwa 200 Billionen US Dollar zustehen. Pakistan bekäme laut dieser Rechnung für den Zeitraum 2020 bis 2050 eine jährliche Kompensation, die etwa zwei Drittel des heutigen Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Deutschland hingegen müsste eine jährliche Entschädigung von etwa 9 Prozent seines heutigen BIPs leisten – rund 370 Milliarden Euro.
Dabei stehen den Ländern des globalen Südens diese enormen Summen allein aus Klimaverantwortung zu. Für die zahlreichen anderen Verbrechen während und seit der Kolonialzeit wären zusätzliche Reparationen nötig.
Das neue Selbstbewusstsein
Momentan erscheint es undenkbar, dass der globale Norden den Süden angemessen entschädigt – weder für die Aneignung des CO2-Budgets noch für die horrenden Verbrechen der Kolonialzeit. Dabei werden seit der Weltklimakonferenz (COP26) 2021 in Glasgow Entschädigungen für die angerichteten Klimaschäden verhandelt. Ebenso unwahrscheinlich ist derzeit, dass es gelingt, die Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Doch die Karten werden neu gemischt: Wer verfügt in zehn Jahren über welchen Einfluss? Wer gibt den Ton an? Und welche Forderungen stehen dann im Raum? Anders als in den 1980er Jahren ist der globale Süden mittlerweile stärker aufgestellt. Der Historiker Vijay Prashad fasste dies kürzlich treffend zusammen, als er das von Südafrika angestrengte Verfahren am Internationalen Gerichtshof gegen Israel kommentierte: Eine neue Stimmung habe den globalen Süden erfasst, sagte er, dieser lasse sich nicht mehr alles gefallen.
Das Beispiel Pakistan zeigt, dass eine Klimagerechtigkeitsbewegung mehr als nur die Klimakrise beachten muss, wenn sie wirklich Gerechtigkeit herstellen will: Sie bringt trotz der vielen Todesopfer weltweit lediglich das Fass zum Überlaufen.
Keine fratzenhafte Nachahmung
Klimagerechtigkeit heißt also nicht nur, dass die Last der globalen Klimaerhitzung nach dem Verursacherprinzip neu verteilt wird. Sie setzt auch eine Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit voraus. Diese muss dazu führen, dass die Länder des Südens wieder echte Souveränität bekommen. Das aber geht nur, wenn ihre Schulden gestrichen, ein neues globales Wirtschaftssystem und Reparationen bezahlt werden.
Nur dann haben die Milliarden Menschen, die weiterhin unter neokolonialer Ausbeutung leiden, eine Chance. Aber es wäre eine Chance für die gesamte Menschheit, im Angesicht der Klimakrise endlich einen anderen Weg als den eines neoliberalen Sparkurses einzuschlagen.
Oder um es mit den Worten von Frantz Fanon zu sagen:
„Das europäische Spiel ist endgültig zu Ende, wir müssen etwas anderes finden. Wir können heute alles tun, solange wir Europa nicht imitieren, solange wir nicht vom Wunsch besessen sind, Europa einzuholen.“ Weiter heißt es in „Die Verdammten dieser Erde“, dass es Ziel der „Dritten Welt“ sein müsse, „die Probleme zu lösen, die dieses Europa nicht hat lösen können … Also, meine Kampfgefährten, zahlen wir Europa nicht Tribut, indem wir Staaten, Institutionen und Gesellschaften gründen, die von ihm inspiriert sind. Die Menschheit erwartet etwas anderes von uns als diese fratzenhafte und obszöne Nachahmung.“
Text: Manuel Oestringer von der seemoz-Klimaredaktion
Fotos von den Überschwemmungen in Pakistan 2010–2022: Wikimedia Commons / Die Grafik ist der Studie von Andrew Fanning und Jason Hickel entnommen.
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