Am 3. März haben Studierende der Universität und der HTWG unter dem Label „Schaumige Muse“ zum zweiten Mal Kreativen eine offene Bühne in der Kulturetage geboten. Unser Autor hat den Abend besucht und im Anschluss mit den Veranstalter:inne:n gesprochen.
Ich muss mich eilen, die Schaumige Muse wartet nicht. Nachmittags am dritten März erinnerte mich ein Freund beim Kaffee daran, dass Abend „Die schaumige Muse“ zum zweiten Mal auftritt. Das erste Mal habe ich leider verpasst. Dabei wollte ich unbedingt sehen, was sich hinter der luftigen Metapher verbirgt.
Es war ein günstiges Zusammentreffen einer Idee und eines Raums. Linn Odermath und Serafina Strömsdörfer, beide Psychologiestudentinnen an der Uni, wollten ‚immer schon’ einen Raum für Kreative schaffen, irgendeine Plattform, wo Leute, die was Tolles machen, das auch anderen Leuten zeigen können, ohne unbedingt einen Anspruch auf Perfektion oder höhere Kunst damit zu verknüpfen. Aber – wo? Das ist, davon können alle, die das mal versucht haben, ein Liedchen singen, in Konstanz so gut wie unmöglich. Die Stadt bietet wenig für Menschen, die nicht kaufen oder verkaufen wollen. Sozialer Raum ist rar.
Aber: es gibt ja die Kulturetage! Ein ehemaliger Tanzsaal hinter der Unteren Sonne und vor dem Akropolis, zumindest wenn man von der Hussenstraße aus kommt. Könnte es einen besseren Platz geben als diesen Nirgendort zwischen Sonnenuntergang und Götterwohnung? Ein Traumland fürwahr, aber eines, dessen offensichtliche Brache im Konsumterror der vor Allerweltschick, internationalem Markenramsch und Nagelstudios zugestopften Altstadt auffällt. Hier kann man mal zwei Atemzüge eines Transits lang Luft holen, bevor man aus dem Lärm der Kaufenden in den Lärm der Autofahrenden stolpert.
Es braucht jeden Kopf
Ein paar solcher Orte gibt es auch in der Konstanzer Altstadt noch, und es steht wider alle Wahrscheinlichkeit zu hoffen, dass sie nicht auch dem Goldenen Kalb geopfert werden. Die Fortexistenz dieses Ortes ist Peter und Barbara Evers zu verdanken. An diesem schönen Ort konnte eine bunte Schar internationaler Studentinnen gemeinsam mit einer Kultursoziologin und einer Tänzerin die Demokratie tanzen (seemoz berichtete hier).
Und auf den alten Eichenbohlen der Kulturetage kam dann Linn und Serafina die Idee, dass genau hier der richtige Ort sein könnte für, ja … „irgendwas, um Leute zu connecten. ‘Ne Plattform schaffen für Kunstschaffende“. Plattformen werden heute in der Regel zunächst einmal digital gedacht. Aber das erwies sich doch als zu umständlich, zu aufwändig, zu schwierig. Also anders.
Als die Kulturetage entdeckt war, holten die beiden noch Annika Willner, Designstudentin an der HTWG, und Adrian Schrag, Philosophiestudent an der Uni, ins Boot. „Wir kannten uns schon vorher und funktionieren einfach gut als Gruppe. Es braucht jeden Kopf“, sagt Linn Odermath. Im Gespräch entwickelten die vier dann die Idee einer offenen Bühne für all diejenigen, die etwas von dem, was sie tun, mit anderen teilen möchten – ein Bild, einen Vers, ein paar Tanzschritte.
Die Idee der open stage hatte Linn aus Portugal mitgebracht. „Da war ich auf einem Open-Stage-Abend, fand das superklasse und dachte, hey, warum gibt es das bei uns nicht?“ „Uns reizt die Idee, etwas ganz Offenes zu schaffen,“ ergänzt Adrian Schrag, „wo man nicht limitiert ist auf ein Genre, auf ein bestimmtes Medium oder bestimmte Menschen. Wir möchten die Möglichkeit geben, Talente und Leidenschaften auszuleben. Wir wissen halt auch selber nie genau, wer kommt, was an dem Abend stattfindet. Das ist das Reizvolle.“ „Ich habe extrem viele Freunde, die malen.“, sagt Annika Willner, „Uns ist es wichtig, sich zusammenzutun, eine Gemeinschaft entstehen zu lassen.“ „Und die Niederschwelligkeit“, fügt Serafina Strömsdörfer hinzu. „Dass es keine krasse Performance sein muss, keine Perfektion verlangt wird. Es geht um den Ausdruck und darum, ihn zu teilen, nicht um die Demonstration von Leistung oder Können. Alle Menschen finden ja ihren eigenen Ausdruck – das ist eine legitime Form des Kunstschaffens, jenseits des Betriebs.“
Auch Kartoffelschälen ist Kunst
Ich muss an Beuys‘ Sätze denken „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und „Auch Kartoffelschälen ist Kunst“. Gleichzeitig bleibt Beuys‘ Kunstbegriff wider den ersten Anscheins doch ein elitärer. Er bezieht sich auf das allgemeine kreative Potential, das allen Menschen gegeben ist, aber er betont auch „nicht jeder Mensch ist ein Maler.“ Auf Dilettantismus reagierte er empfindlich (für Interessierte gibt es hier mehr).
Ich denke an den Pfarrer Damian Brot von der reformierten Kirchgemeinde Kreuzlingen, der mir von einem Armenier erzählte, der zu ihm kam und seine Bilder zeigen wollte, fürchterlich kitschige, süßliche Jesusbilder in Rosa und Gold. „Aber“, sagte Damian Brot, „ich bin Pfarrer und kein Kunstkritiker. Wenn das seine Form ist, hier zu sein, bei den Menschen, bei Gott zu sein, dann darf er das gern tun.“ Eben diesen Geist erlebe ich auch in der Gruppe der vier Student:inn:en, die sich den Namen „RabatzzBande“ gegeben hat.
„Wir kommen“, erzählt Adrian, „aus Kreisen, wo viel Kunst gemacht wird, viel gesungen, viel getanzt wird. Wo gemeinsam geschrieben wird. Da ist unglaublich viel Kreativität da, aber manchmal ist es schwierig, den ersten Schritt zu tun, das auch nach außen zu tragen. Unser Wunsch ist, dass man das ausprobieren kann. Dass man voneinander lernen kann in einem safe space.“ „Und wegkommt von diesem egoistischen Verständnis von Kunst“, wirft Annika ein, „Es ist nicht nur ein künstlerischer, sondern ein sozialer Raum. Das Teilen selbst ist eine enorme kreative Kraft.“ „Berührtwerden“, ergänzt Serafina, „braucht halt immer zwei. Das geht allein gar nicht.“ Die anderen am Tisch nicken zustimmend. Serafina grinst: „Wir wussten von Anfang an aber auch, dass wir allein mit unserem Freundeskreis eine ganze Halle füllen können.“ Gelächter. „Das machte es einfacher anzufangen. Bei der ersten schaumigen Muse haben wir einfach Leute angesprochen“, erzählt Linn.
Irgendwie kommt es mir vor, dass die RabatzzBande etwas zwischen Beuys und Brot anzubieten versucht: Du kannst hier sein, wie Du willst, ja, das schon, aber es geht eben doch auch um Kunst, also um Deine Kunst. Du kannst mit Deiner Kunst hier sein, wie Du willst. Die Kunst ist dabei nicht egal – sie ist das Schmiermittel der Vergemeinschaftung und ihr Gravitationszentrum. Wer sich von der RabatzzBande aufmischen und der schaumigen Muse küssen lässt, die und der ist schon Teil einer kunstschaffenden Community. Die oder der will nicht einfach nur quatschen, Tee trinken und die Wand anstarren, sondern sich der Kunst als eines Mediums zum Selbstausdruck und zur Kommunikation mit anderen, vielleicht aber auch zum Selbstgespräch in Anwesenheit und durch die Anwesenheit anderer bewegen lassen oder finden.
Schmiermittel der Vergemeinschaftung
„Kunst darf, meiner Meinung nach, fast alles. Das geht aber oft auch damit einher, dass man nicht nur positiv, sondern auch negativ berührt wird. Und mit diesen Gefühlen umzugehen, ist ein wichtiger Teil der Erfahrung. Alle in einem künstlerischen Bereich müssen sich wohlfühlen – das Publikum muss sich wohlfühlen, aber die Macher:innen müssen auch den Raum haben zu agieren. Es sollte urteilsfrei auf beiden Seiten genossen werden können.“ Adrian guckt nachdenklich in die Runde.
Safe Space bedeutet im Rahmen der Veranstaltungsform „Schaumige Muse“ offenbar nicht die Antizipation der Gefühle anderer – bei Kulturveranstaltungen kann man sich vor Triggerwarnungen kaum noch retten –, sondern die Gelassenheit, die oder den anderen so sein zu lassen, wie sie oder er gerade da ist. Das verteilt die Verantwortlichkeit auf alle am Abend Beteiligten auf der Bühne und im Publikum und verlangt viel Achtsamkeit. Auftretende dürfen sich nicht angegriffen fühlen, wenn jemand den Raum verlässt. Zuschau- und hörende müssen aushalten, dass Geschmäcker verschieden sind und manche Darbietung die Grenzen des eigenen guten Geschmacks, der eigenen Comfortzone auch überschreitet.
Je diverser, desto besser
„Wir können nicht für alles garantieren, aber wir sind auch offen für Menschen, die das Gespräch über verstörende Erlebnisse suchen. Es ist wichtig, Menschen, die sich verletzt fühlen, nicht allein zu lassen.“ Aber, da sind sich alle einig, es gibt Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. „Sexismus, Antisemitismus, Rassismus haben natürlich keinen Platz bei uns. Das steht völlig außer Frage. Ausgeschlossen ist, was auf absichtliche Verletzungen oder Diskriminierungen abzielt“, betont Adrian, „Kunst darf eben nur fast alles“.
Zum Abschluss unseres Gespräches möchte ich noch wissen, wie und ob es gelingen kann, aus der eigenen Freundes- und Bekanntenblase auszubrechen. „Wir brauchen noch Kanäle, um unsere Blase für andere Blasen zu öffnen“, meint Linn, „Je diverser, desto besser. Inspiration aus möglichst vielen Ecken – davon profitieren wir alle. Gern aus der Blase heraus.“ „Ich denke, dass diese Blase, in der wir uns bewegen, davon lebt und sich darüber freut, sich immer weiter zu öffnen“, meint Serafina. „Wir haben halt nicht dieses eine Thema, bei dem manche sich angesprochen, manche sich ausgeschlossen fühlen“, ergänzt Annika. „Wir hoffen, dass sich die Schaumige Muse mit der Zeit auch von anderen, die jetzt noch nicht da sind, als Ort, wo man mal hingehen kann, wahrgenommen wird.“
Ein Blick auf die Uhr – Musen warten nicht. Im Hof zwischen Sonnenuntergang und Götterwohnung stehen schon viele Menschen. Wollen die zusehen? Oder mitmachen? Ich bin gespannt.
Falls dieser Text Euch und Ihnen Lust gemacht haben sollte, selbst mit einem Beitrag bei der Schaumigen Muse dabeizusein, meldet Euch, melden Sie sich einfach bei der RabatzzBande
– per E-Mail: rabatzzbande-kollektiv@gmx.de oder auf Instagram: rabatzzbande
Text von Albert Kümmel-Schnur, die Bilder wurden von Linn Odermath, Annika Willner und Melanie Thilenius aufgenommen.
Schreiben Sie einen Kommentar