Auch in Singen wird die Mobilisierung gegen rechtsextreme Entwicklungen fortgesetzt. Das Interesse und die Beteiligung am Vernetzungstreffen für Demokratie, Solidarität und Vielfalt im vollbesetzten Bürgersaal war groß und rege. Eingeladen hatte der Verein für Integration in Singen (inSi), der die Kundgebung am 27. Januar angestoßen hatte.
Die große Kundgebung mit etwa 4000 Teilnehmer:innen in der Fußgängerzone habe gezeigt, dass auch in Singen die Mehrheit der Gesellschaft Demokratie nicht für selbstverständlich halte. „Solidarität entsteht nicht ohne ein Handeln zugunsten anderer, und die Vielfalt von Kulturen und Religionen bereichert unsere Stadtgesellschaft seit Generationen“, hieß es in der Einladung zur diesjährigen Singener Demokratiekonferenz.
Und: Mit einer Kundgebung sei es nicht getan, sondern jetzt gehe es darum, „diese Werte nachhaltig zu leben“ und „die nächsten Schritte zu gehen – gegen Hass und Hetze, für Demokratie, Solidarität und Vielfalt in Singen“. Als Vernetzungstreffen für interessierte Bürger:innen, zur Ideenfindung für weiteres Handeln, für mögliche Aktionen und Projekte war daher die Veranstaltung ausgerichtet. Dies vor allem mit Blick auf die kommenden Kommunal- und Europawahlen.
Nach Begrüßungsworten vom Hausherrn Oberbürgermeister Bernd Häusler, der hervorhob, dass Singens Gemeinderat bereits vor über zehn Jahren eine Resolution gegen Extremismus beschlossen habe, aus der das Bündnis unterm Hohentwiel entstanden sei, und vom inSi-Vorsitzenden Bernhard Grunewald, der betonte, dass jetzt – im Rückblick auf die vorangegangenen Demokratiekonferenzen – „Pionierarbeit in Singen beginnt“, ging es schon in medias res.
Was kann, was muss getan werden?
Was inSi selbst plane und wie die Zeitschiene für verschiedene Veranstaltungen bis zur Kommunal-, Kreistags- und Europawahl am 9. Juni aussehen werde, stellten Martin Zimmermann und Guiseppe Femia vor. Vordringlichstes Ziel, um das weitere Erstarken von rechtsextremen Parteien und rechtsradikalen Gruppierungen zu verhindern, soll eine Erhöhung der Wahlbeteiligung sein. Hürden, überhaupt wählen zu gehen, sollen abgebaut werden. Workshops für Erst- und Jungwähler:innen sowie bewusste Motivation für EU-Bürger:innen, sich im Wählerverzeichnis registrieren zu lassen, gehören zu ihren Vorschlägen.
Wahlen – Demokratie – Solidarität – Vielfalt waren vorgegebene Stichworte, zu denen sich die Teilnehmenden in Arbeitsgruppen bei inspirierenden Gesprächen austauschten. Schnell füllten sich die vier Tafeln mit Notizzetteln, auf denen erste, spontane, wenn auch teils noch vage Ideen zu künftigen Aktionen und Projekten vermerkt wurden: Als demokratische Zivilgesellschaft wieder mehr Gesicht zeigen, die kulturelle Vielfalt, die Singens Stadtgeschichte und Stadtbild seit mehr als 100 Jahren prägen, präsenter machen, gegen zunehmend rassistische Tendenzen verstärkt angehen – das war folgerichtig der Kern aller Vorschläge.
Bereits bestehende Einrichtungen wie Sportclubs, internationale Vereine, verschiedene Institutionen, auch Betriebe im Landkreis möchte man dazu mit ins Boot holen. Kommende Feste wie am 1. Mai und zum Jubiläum 75 Jahre Grundgesetz am 26. Mai sollen verstärkt zu Austausch und Information genutzt werden. Zuvor plant das Centro Portugues eine Feier anlässlich des 50. Jahrestags der Nelkenrevolution, die am 25. April 1974 die Diktatur Salazars beendet hatte.
Mit Infoveranstaltungen, Workshops, Flyern (Worin bestehen die Aufgaben des Gemeinderats? Wie mit Social Media umgehen?), einer Wahlregistrierungsparty für EU-Bürger:innen, Solidaritätslisten in Unternehmen soll für den Erhalt unserer demokratischen Werte geworben werden und dafür, bei den kommenden Wahlen das jeweilige Wahlrecht wahrzunehmen und nicht rechtsextremen Parteien auf den Leim zu gehen.
Wahlbeteiligungen in Singen
Was Wahlbeteiligung angeht, hat sich Singen in den zurückliegenden Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert: Bei der Kommunalwahl 2019 betrug diese gerade mal 43,14 Prozent – was zwar immerhin etwas besser war als die 35,67 Prozent im Jahr 2014. Bei der Europawahl 2019 gingen 49,82 Prozent an die Urne; bei der Kreistagswahl 2019 nur 42,47 Prozent. In manchen Wahllokalen waren es sogar kaum über zehn Prozent, die ihr Stimmrecht wahrnahmen.
Und teilweise genau dort konnte die AfD überproportional zulegen. 2019 hatte diese keine Liste für die Gemeinderatswahl in Singen aufgestellt. Ob auch bei der kommenden Wahl dieser Kelch an uns vorübergeht? Angeblich werde dieses Mal an Listen für Singen, Radolfzell und Konstanz gearbeitet. Bei der Kreistagswahl 2019 holte die AfD in Singen 5,51 Prozent und ist mit zwei Räten im derzeitigen Kreistag vertreten. Bei der Europawahl 2019 votierten 13,25 Prozent der Singener Wähler:innen für die AfD.
Social Media und ländlicher Raum
Auch die sogenannten sozialen Medien, die zur Spielwiese rechtsextremer und rechtsradikaler Akteur:innen für ihre Hass- und Hetze-Botschaften geworden sind, wurden als wichtiges Thema angesprochen, mit dem es klug umzugehen gelte. Für die nicht mehr ganz jungen Bürger:innen sei dies Neuland, da diese eben mehr den „klassischen Kommunikationssträngen“ als den Social-Media-Kanälen verbunden seien, stellte Bernhard Grunewald fest.
Und bei allen geplanten Aktivitäten: „Bitte nicht den ländlichen Raum vergessen!“ So lautete einer der Zurufe vonseiten der Teilnehmer:innen bei der abschließenden Gesprächsrunde. Anwesend waren denn auch zahlreiche interessierte „Nicht-Singener:innen“ aus der Umgebung.
So soll es weitergehen: analog und digital
Donnerstag, 29. Februar, VHS Singen: „Demokratie unter Druck. Wie sichern wir unsere Grundwerte in einer vielfältigen Gesellschaft?“. Gespräch mit der baden-württembergischen Landtagspräsidentin Muhterem Aras anlässlich 75 Jahre Grundgesetz. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich.
Samstag, 2. März, Kulturzentrum GEMS: GEMS, Friedrich-Wöhler-Gymnasium, inSi e.V. und Singener Kriminalprävention laden ein zu spots. – Kinofest für Vielfalt und Demokratie
Weitere offene Vernetzungstreffen für alle Interessierte sind für Donnerstag, 21. März, 18 Uhr – Montag, 22. April, 16 Uhr – Mittwoch, 15. Mai, 18 Uhr – Dienstag, 4. Juni, 18 Uhr – Freitag, 12. Juli, 18 Uhr im Café Horizont geplant. Außerdem kann das „Café International“, das jeden 2. und 4. Samstag in den Räumen der Tafel am Heinrich Weber-Platz (Kontakt info@tafel-singen.de) stattfindet, als Plattform für weiteren Austausch und Veranstaltungen genutzt werden.
Für die Online-Zusammenarbeit soll unter anderem eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet werden. Für die Kommunikation per E-Mail gibt es den inSi-Verteiler und den Newsletter MITEINANDER in Singen. Eine Webseite und ein Padlet (zugangsbeschränktes Online-Whiteboard) werden von inSI derzeit vorbereitet, informierte Martin Zimmermann.
Text: Uta Preimesser, Fotos: Dieter Heise
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