Der Anteil der älteren Menschen an unserer Bevölkerung wird auch in den nächsten Jahren ständig weiter zunehmen. Doch die Gesellschaft ist darauf schlecht vorbereitet. Im Gespräch mit Harry Fuchs und Thomas Sturm vom Konstanzer Stadtseniorenrat geht es um Chancen und Herausforderungen für ältere Menschen in einer Umgebung, in der für sie weniger Platz als für frühere Generationen ist.
Teil 3, Teil 1 finden Sie hier
seemoz: Pflegeheimplätze können Ihrer Meinung nach also nicht die Lösung sein, weil sie in der benötigten Menge nicht finanzierbar sind.
Thomas Sturm: Ein anderes Problem sind die fehlenden Arbeitskräfte, zumal in diesem Bereich Menschen, die kaum Deutsch können, nur sehr begrenzt einsetzbar sind. Es braucht einfach auch eine gewisse Kommunikationsfähigkeit – ein warmes Herz und die Fürsorge für Menschen allein reichen da nicht aus, ich muss auch wissen, was die entsprechende Person benötigt, und darüber muss ich mit ihr reden können.
seemoz: Gibt es schon Modelle, wie Nachbarschaftshilfe funktionieren kann? Oder soll jeder selbst im Hause rumklingeln und fragen, ob die alte Frau von nebenan etwas braucht?
Harry Fuchs: Nachbarschaftshilfe gibt es auch heute schon, und zwar vor allem in den Ortschaften, die immer noch echte Ortschaften darstellen. Ich denke dabei an Litzelstetten, Dingelsdorf, Dettingen oder Allmannsdorf, wo es eine funktionierende Bürgergemeinschaft gibt. Das sind die sogenannten niederschwelligen Angebote.
Wir als Stadtseniorenrat können auf solche Angebote nur hinweisen. Deshalb pflegen wir eine Liste im Internet, in der wir sie samt Ansprechpartnern aufgeführt haben. Diese Liste kann jederzeit erweitert werden, auch um andere Zielgruppen oder Probleme, wir sind für Ratschläge sehr dankbar. Wir würden dieses bestehende Netzwerk gern erweitern, weil etwa auch die christlichen Kirchen eine ganze Menge tun. Außerdem fehlt uns im Moment noch der Blick auf die anderen Religionsgemeinschaften und deren Aktivitäten. Wir müssen all diese Personenkreise in die Nachbarschaftshilfe mit einbinden, damit wir dort etwas Niederschwelliges auf die Reihe bekommen. Dazu müssen wir die Menschen aber erst einmal dazu ermuntern, ihre Nachbarschaft auch tatsächlich kennen zu lernen. Für Nachbarschaftshilfe muss man können und kennen. Dass sie mich nicht missverstehen, ich will moderne Quartiersmanager und keine Blockwarte.
Thomas Sturm: Ein Hindernis ist sicher auch, dass Nachbarschaft und Nachbarschaftshilfe mit dem Ehrenamt verbunden sind. Ein Ehrenamt mit diesen Dimensionen funktioniert aber nur, wenn das jemand organisiert und langfristig professionell betreut. Diejenigen, die heute in diesem Bereich aktiv sind, schauen mit Sorge in die Zukunft und fragen sich, wer eines Tages diese Aufgaben übernehmen wird und zum Beispiel in den Vorstand ihres Vereins eintritt.
Wenn ich mir die Innenstadt so anschaue, haben wir im Zentrum von Konstanz kein echtes Quartiersgefühl mehr. Die Stadt will ja jetzt in ihren Stadtteilen durch Stadtteilkonferenzen die in den einzelnen Bereichen Tätigen zusammenführen.
Es gibt beispielsweise in der Wollmatinger Kirche eine Frau, die sehr viele Kontakte hat, und, wenn man an sie herantritt, Hilfe vermitteln kann. Diese Frau vermittelt Hilfe jetzt privat, aber wenn wir uns so organisieren würden, dass jemand das professionell vermittelt, dann wäre das eine große Unterstützung für das Ehrenamt.
Harry Fuchs: Es gibt ja durchaus Menschen, die gern etwas machen würden, wenn auch nicht jeder unbedingt immer alles machen möchte. Aber wenn sich mehrere eine Aufgabe teilen, dann kann man etwas organisieren wie einen Einkaufsdienst oder eine Grabpflege. Auch ich möchte nicht dauernd jemanden zum Arzt begleiten, aber wenn ich mal Zeit habe, wäre ich dazu auch bereit.
Wir müssen diese Nachbarschaftshilfe also ein Stück weit strukturiert aufbauen. Wir haben vorgeschlagen, das elektronisch zu organisieren. Sicher wissen wir, dass nicht alle Senioren und Seniorinnen elektronisch unterwegs sind, aber es werden immer mehr, und auch die jüngeren sind elektronisch vernetzt. Wir brauchen ein Medium, das sich anders als die Tatenbörse an der Nachfrage orientiert: Ich habe folgendes Problem, wo finde ich die Lösung? Wer kann für mich im Paradies einkaufen, wer mich zum Arzt begleiten, wer mir beim Ausfüllen von Formularen helfen?
seemoz: Ist das nicht etwas viel verlangt von rein Ehrenamtlichen?
Harry Fuchs: Ich stehe einer Bezahlung für das Ehrenamt gespalten gegenüber. Eine Aufwandsentschädigung, also etwa Reisekosten, oder wenn jemand länger unterwegs ist auch ein Essen, finde ich in Ordnung. Aber je mehr Geld sie geben, desto eher haben sie das Problem, wo die Grenze zur bezahlten Tätigkeit beginnt. Eine bezahlte Tätigkeit ist dann aber nicht mehr freiwillig, sondern sie muss verlässlich sein; wenn ich jemandem Geld für etwas zahle, dann will ich diese Leistung auch zuverlässig einfordern können.
seemoz: Ganz abgesehen davon, dass sie dann schnell auch in die Probleme der Sozialabgaben und Versicherungen hineingeraten. Es gab zum Beispiel die Diskussion um Mehrgenerationenhäuser, die so angedacht waren, dass junge Menschen darin gegen gewisse vorher vereinbarte Hilfsleistungen billigen Wohnraum finden. Da kam man aber ziemlich schnell in den bürokratischen Wahnsinn hinein, denn für solche Dienstleistungen können Abgaben fällig werden, sie werden auf andere Unterstützungen angerechnet usw.
Thomas Sturm: Ein Klassiker sind auch die helfenden Studenten, die in den Semesterferien womöglich gar nicht verfügbar sind.
seemoz: Bei vielen Menschen, vor allem in der Endphase, geht es ja auch nicht um einfache Hilfestellungen, sondern da ist viel medizinische Erfahrung nötig, da kann Nachbarschaftshilfe nur als eine Art der Unterstützung neben dem professionellen Einsatz greifen.
Thomas Sturm: Natürlich kommen viele Menschen irgendwann an einen Punkt, an dem sie professionelle Unterstützung brauchen, weil sie einfach viel zu pflegebedürftig sind, als dass ein Laie diese Hilfe noch leisten könnte. Denken Sie nur an die spezialisierte ambulante Palliativversorgung, bei der wir auch aktiv waren. Daran haperte es in Konstanz bis vor Kurzem. Inzwischen hat man aber Ärzte und medizinisches Personal gefunden, die das übernehmen wollen. Das ist natürlich immer auch eine Geldfrage. In diesem Bereich muss dringend etwas geschehen, und hier haben wir bereits früh unseren Finger draufgelegt.
Harry Fuchs: Ein weiteres Thema im Alter ist natürlich die Wohnungsausstattung. Ein Großteil der Menschen wohnt in ganz normalen Wohnungen, die nicht altersgerecht sind. Innerhalb der Wohnung kann man dann eventuell durch einige Umbauten die Bewegungsfreiheit sicherstellen. Aber wenn es keinen Aufzug gibt, ist vielen Menschen in den oberen Stockwerken das Verlassen ihrer Wohnung unmöglich, sowie sie bewegungseingeschränkt werden. 2019 gab es in Konstanz noch keine ehrenamtliche Wohnungsberatung für alle, sondern nur eine Beratung für Menschen an der Schwelle zur Pflegebedürftigkeit. Darum haben wir in Zusammenarbeit mit dem Behindertenbeauftragten eine ehrenamtliche Wohnberatung gegründet. Dieses Angebot wird gut angenommen, wir haben im letzten Jahr 17 Wohnberatungen durchgeführt.
seemoz: Worum dreht es sich bei solchen Beratungen?
Harry Fuchs: Es geht etwa um Stolperfallen, und das abgestimmt auf den, der in dieser Wohnung lebt. Es ist ja wichtig, ob jemand schlecht sieht oder ob er schlecht gehen kann – oder beides. Sehr oft geht es um Teppiche, die im Wege liegen, ganz gefährlich ist etwa der kleine Badläufer, der beim Austeigen aus der Dusche wegrutscht. Wir gehen zuerst einmal die Wohnung und sprechen mit den Leuten und schauen uns um, das ist der wichtigste Schritt. Auch der Umbau der Bäder mit ebenerdigen Duschen ist ja mittlerweile in Mode gekommen.
Wir hätten gern im Landkreis eine Musterwohnung, in der die Leute sich anschauen können, wie etwa eine altengerechte Küche aussieht mit einem Küchenschrank, den ich runterziehen kann. Wie sieht ein Badezimmer mit einer Toilette aus, die mit Düsen ausgestattet ist, wie eine ebenerdige Dusche, wie eine Stange, die ich mitten reinstellen kann zum Festhalten? Wir können das mit unseren Mitteln nicht aufbauen und mit unserer Personaldecke auch nicht dauerhaft betreuen, denn das darf ja keine Eintagsfliege werden.
Das Gespräch führte Harald Borges, die Fotos stellte der Stadtseniorenrat zur Verfügung.
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