Einen Ritt durch mehrere Jahrhunderte verspricht das abwechslungsreiche Programm des nächsten Konzertes der Südwestdeutschen Philharmonie an diesem Wochenende. Nicht nur der im Konzertsaal eher rare Rameau dürfte für die Konstanzer*innen einige Überraschungen bereithalten, auch Ligeti, Haydn und Strawinski haben hohen Unterhaltungswert.
In der Klassik sind Best-of-Kompilationen ein alter Hut. Nur ging es dabei früher nicht um die größten Party-Hits der 1720er Jahre oder die beste Entspannungsmusik zur Kreuzigung, sondern um Zusammenstellungen der zugkräftigsten Instrumentalnummern etwa aus Schauspielmusiken oder Opern für das unterhaltungslustige Publikum im Konzertsaal (oder am heimischen Klavier).
Ein solches Best-of nannte sich dann gern „Suite“. Ein bekanntes Beispiel dafür ist etwa Edvard Grieg, der in seine eine Schauspielmusik zu Ibsens Peer Gynt gleich derart viele Hits hineinkomponierte, dass es gleich für zwei Suiten langte, während Tschaikowski für ebenfalls zwei Hit-Suiten erst mal zwei ziemlich lange Ballette schreiben musste. Wahrscheinlich hat dieser Pjotr Iljitsch T. einfach zu wenig oder nicht konsequent genug gesoffen, um es zu größerer Hitdichte zu bringen – während sein musikalisch wesentlich bedeutenderer Genosse Mussorgski derart zulangte, dass er vor lauter Suff viel geniale Musik, aber überhaupt keine Best-of-Kompilation zustande brachte (die „Bilder einer Ausstellung“ zählen nicht).
Aber auch heute noch entstehen Suiten, die etwa Dirigenten für den eigenen Gebrauch zusammenstellen. Ein geniales Beispiel ist „Une Symphonie imaginaire“, in der Marc Minkowski einige der größten Instrumental-Hits aus Rameaus Bühnenwerken zusammengefasst hat – und deren durchaus packende Wiedergabe – wie bei diesem Dirigenten nicht unüblich – vermutlich ebenso viel Rameau (1686‒1764) wie Minkowski (*1962) enthält.
Auch der Dirigent Kilian Farell, der am Freitag und Sonntag die Südwestdeutsche Philharmonie leiten wird, hat eine Rameau-Suite kompiliert, die er bei dieser Gelegenheit präsentieren wird: „Les Borèades“ mit Musik aus Rameaus letzter Oper, deren Uraufführung der Komponist damals todeshalber nicht mehr erlebte, denn sie fand erst rund zweihundert Jahre später statt. Man darf gespannt sein, welche Stücke der Oper (außer der Ouvertüre, die in solchen Suiten obligatorisch ist) Farell für seine Suite ausgewählt hat.
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Als Haydn (1732-1809) im Jahre 1790 als alter Mann plötzlich arbeitslos wurde, weil sein Dienstherr Anton I. Esterházy de Galantha sich – vorgeblich aus Geldmangel – gezwungen sah, sein großartiges Orchester aufzulösen, für das Haydn 30 Jahre lang gearbeitet hatte, schaute sich der Komponist nach anderen Einkommensquellen um. Zusammen mit einem Konzertagenten besuchte er jeweils 1791/92 und 1794/95 England, wo sich so richtig Kasse machen ließ. Er erhielt nicht nur in Oxford einen Ehrendoktor, auf den er mächtig stolz gewesen sein soll, sondern wurde wochenlang von der Londoner Salonlöwen-Mafia nach Kräften hofiert. Besonders nützlich war ihm Charles Burney, der auf seinen Reisen durch Europa Komponisten ja geradezu gesammelt hatte – zum Glück, denn Burneys Werke über den damals aktuellen Stand der Musik in Frankreich und Italien sowie über die musikalische Lage in Deutschland, Holland usw. sind noch heute lesenswert (sofern mensch bereit ist, um der guten Sache Willen eine gewisse Drögheit des Schreibstils hinzunehmen).
Dem Herrn Haydn jedenfalls öffneten sich viele Türen, und er hatte manchmal Mühe, zwischen all den Dinners zu seinen Ehren seine wegweisenden Londoner Sinfonien 93-104, seine letzten übrigens, fertigzustellen und aufzuführen. Heute werden sie zu den Meisterwerken der Wiener Klassik gezählt, schon damals wurden sie von einem geradezu musikfanatischen Londoner Publikum allerbestens aufgenommen.
Die Südwestdeutsche Philharmonie spielt am Sonntag die No. 101, genannt „Die Uhr“, ein Beiname, der nicht von Haydn stammt und als reiner Marketinggag eines Verlegers gilt. Auch für sie stimmt, was damals die Morning Chronicle über ein anderes Haydn-Konzert zu berichten wusste: „… es gab wohl noch nie einen größeren musikalischen Genuss. Es ist kein Wunder, dass HAYDN für jene Seelen, die von der Musik berührt werden, ein Gegenstand der Verehrung und gar der Anbetung ist; wie unser SHAKESPEARE bewegt und beherrscht er unsere Leidenschaften ganz nach Belieben.“
Im heimischen Wien weinten Haydn derweil aber einige Kleingeister nach und gossen ihren Seelenschmerz wie Caroline Pichler direkt aus der bebenden Brust in hölzerne Verse:
Und dieser erhabene Geist, der Schöpfer von Harmonien,
Ist uns Bruder, ein Deutscher wie wir.
O, fühlten dies alle wie ich! Du [Haydn] solltest uns nimmer entfliehen:
Kein Albion zöge dich neidig von hier.
Haydn war allem Anschein nach in London trotz dieser Wiener Deutschtümelei äußerst zufrieden, wenn auch aus handfesteren Gründen. Über das letzte Konzert am 4. Mai 1795, in dem seine Sinfonie No. 104 uraufgeführt wurde, notierte er: „Die ganze Gesellschaft war äußerst vergnügt und auch ich. Ich machte diesen Abend vier tausend Gulden. So etwas kann man nur in England machen.“ Kein Wunder, dass es Haydn in London gefiel, denn das liefe nach heutiger Kaufkraft auf rund 150.000 Euro hinaus, für ein einziges Konzert wohlgemerkt.
Text: Harald Borges, Bild aus Wikipedia: Eine zu Lebzeiten Haydns im Jahr 1800 angefertigte Büste. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“.
Praktische Informationen
Programm
Jean-Philippe Rameau (1686‒1764): Suite aus „Les Borèades“ (Fassung von Kilian Farell)
Igor Strawinsky (1882‒1971): Symphonie in drei Sätzen
György Ligeti (1923‒2006): Ramifications
Joseph Haydn (1732‒1809): Symphonie Nr. 101 D-Dur Hob I: 101 „Die Uhr“
Mitwirkende
Südwestdeutsche Philharmonie, Kilian Farell (Dirigent)
Konzerte
– Freitag, 02.02.2024, 19:30 Uhr
– Sonntag, 04.02.2024, 18:00 Uhr
jeweils im Konzil zu Konstanz.
Eine Stunde vor Konzertbeginn findet eine Einführung mit Wolfgang Mettler im Studio der Philharmonie nebenan statt.
Karten
– Karten- und Abobüro, Fischmarkt 2, 78462 Konstanz, Telefon: 07531 900-2816. Fax: 07531 900-122816, Mail abo@konstanz.de, Öffnungszeiten Mo. bis Fr. 9–12.30 Uhr, www.philharmonie-konstanz.de
– Theaterkasse im KulturKiosk, Wessenbergstr. 41, 78462 Konstanz, Telefon: 07531 900-2150, Mail Theaterkasse@konstanz.de, Öffnungszeiten Di. bis Fr. 10–18.30 Uhr, Sa. 10–13 Uhr
– Tourist-Information Konstanz, Bahnhofplatz 43, 78462 Konstanz, Öffnungszeiten April bis Oktober: Mo bis Fr. 9:00–18:30 Uhr, Sa. 10:00–16:00 Uhr, So. 10:00–13:00 Uhr; November bis März: Mo. bis Fr. 9.30–18 Uhr, Mail counter@konstanz-tourismus.de
– Ortsverwaltungen Dettingen-Wallhausen, Dingelsdorf und Litzelstetten (jeweils Schalterverkauf)
– Internet: Über die Seite der Philharmonie
Quellen
Ludwig Finscher, Joseph Haydn und seine Zeit, Laaber, 3. Auflage 2017.
Zum heutigen Wert des Gulden: https://www.zeit.de/feuilleton/mozart_geschichte/irrtuemer_5
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