Nach über einem Jahr stellte das mit viel Elan als Alternative zum etablierten Konstanzer Lokaljournalismus gestartete Online-Magazin Karla zum Jahreswechsel seinen Betrieb wieder ein. Für seemoz Anlass zu einer kritischen Würdigung des Projekts.
Schon immer wollte ich mit Karla über Karla reden, weniger über Inhalte und journalistische Konzepte als übers Geld: Wie stemmen die das, sich „faire Löhne“ zu bezahlen? Da hätte ich mir als Kassierer des notorisch klammen, weitgehend auf ehrenamtlicher Arbeit beruhenden Vereins seemoz e.V. gerne was abgeschaut. Nun, da das Karla-Magazin sein Ende verkündet hatte, war es höchste Zeit für so ein Gespräch. Jetzt aber mit dem Fokus: Warum hat es nicht geklappt?
Treffen mit Karla
Wir haben uns im Café Leica verabredet. Mir gegenüber mit dem Rücken zur Wand ein junger Mann mit Schnauz und dunklem Lockenkopf. Ernster Blick, vor ihm ein Notebook: Nik Volz, seines Zeichens einer der geschäftsführenden Gesellschafter von Karla. Ein Getränk möchte er nicht. Nach dem Kommentar des seemoz-Redakteurs Holger Reile, der tags zuvor in der Online-Zeitung Kontext (nachzulesen hier) über das Ende von Karla erschienen war, sei die Vertrauensbasis für ein Gespräch nicht mehr gegeben, sagt Volz. Und eine seemoz-Mitarbeiterin, so sei ihm zugetragen worden, habe gar das Karla-Team im privaten Kreis als „Kartoffeln“ diffamiert. Ich möge deshalb meine Fragen doch bitte schriftlich einreichen.
Puh! Diese Absage kam unerwartet. Hatten wir uns doch gestern noch per E-Mail unseres Termins versichert. Hier ist jemand nicht nur „traurig, enttäuscht und […] wütend“, wie Karla „in eigener Sache“ schreibt, sondern gekränkt und verletzt. Es gelingt mir dann doch irgendwie, den „Creative Innovation Strategist“, wie sich Volz auf seiner Website nennt, wenigstens so lange am Tisch zu halten, bis ich meinen heißen Kaffee habe austrinken können. Was er denn heute einem Karla vergleichbaren Vorhaben raten würde besser zu machen? „Weniger Vertrauen in die Stiftungen setzen.“
Ein tollkühnes Start-up
Unter dem Stichwort Transparenz listet die Karla-Website die von Stiftungen erhaltenen Zuwendungen auf, nämlich seit Bestehen 90.000 Euro. Dazu wurden von privaten Spender:innen zusammen etwa 105.000 Euro eingeworben. Die nach eigenen Angaben knapp 900 Abos brachten mindestens weitere 100.000 Euro – wobei festgehalten ist, dass Karla heute seinen Jahresabonnent:innen, wenn sie es denn wünschen, die für 2024 vorausgezahlten Kosten erstattet. Summa summarum hat Karla also etwa 300.000 Euro eingenommen, davon ein Drittel über die Abos.
Wie sieht es mit den Ausgaben aus? Anders als früher unter dem Stichwort Transparenz versprochen, wurden die Quartalsberichte oder Jahresabschlüsse nie publiziert. Heute heißt es auf der Website nur noch: „Nach Beginn der operativen Tätigkeit können die Angaben zur Mittelverwendung den Jahresberichten entnommen werden. […] Der Jahresbericht 2022 [sic!] wird Ende 2023 veröffentlicht“. Wurde er bisher nicht. So können wir die Ausgaben nur schätzen.
Man habe, so Nik Volz, im Durchschnitt Mitarbeiter:innen im Umfang von zusammen drei Vollzeitstellen beschäftigt und diesen Tariflohn gezahlt. Mit den Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung und Zusatzversorgung errechnen sich so Personalkosten für die Festangestellten von 180.000 Euro im Jahr. Hinzu kommen Honorare für freie Mitarbeiter:innen in unbekannter Höhe. Und über den Gründervater und Redakteur Michael Lünstroth heißt es, er habe bei Karla nahezu umsonst gearbeitet und von seiner gleichzeitigen Halbtagsstelle bei „Thurgaukultur“ gelebt.
Warum die Rechnung nicht aufgehen konnte
Allein um Löhne und Honorare bezahlen zu können, hätte Karla also mindestens doppelt so viele Abonnent:innen gebraucht. Die Macher:innen hofften, dieses Ziel 2025 zu erreichen. Aber war es nicht etwas blauäugig, von einem linearen Wachstum der Abos auszugehen? Der Zuwachs wird abflachen, manch eine:r wird nach dem ersten Jahr kündigen. Selbst mit dem erwarteten Wachstum hätte aber immer noch das Geld für Sachausgaben wie Büromiete, Website, Werbung und so weiter gefehlt.
Noch blauäugiger mutet die Hoffnung an, das finanzielle Defizit über mehrere Jahre mit den Zuwendungen von Stiftungen auszugleichen. Stiftungen liefern Anschubfinanzierung. Oder sie fördern zeitliche begrenzte Projekte. Aber doch nicht über Jahre hinweg!
So muss Karla in seinem Schlusswort einräumen, dass ein nicht-profitorientierter Lokaljournalismus aktuell „nur dann eine Chance hat, wenn er a) als Selbstausbeutungsprojekt betrieben wird oder b) vor Ort andere Geldgeber oder neben dem Journalismus zusätzliche Einkommensquellen hat.“ Zu a) war Karla nicht bereit, und b) war nicht gegeben.
Ein Modell für neuen Lokaljournalismus?
Kritische Fragen verdient auch Karlas journalistisches Konzept. Man wollte nicht weniger als ein „inhaltlich wie strukturell zukunftsträchtiges Modell für Lokaljournalismus entwickeln, das auch in anderen Städten funktionieren kann“. Eine solche Formulierung hätte ich vielleicht in einen Förderantrag geschrieben, nicht aber lautstark öffentlich verkündet.
„Karla denkt Lokaljournalismus neu multimedial“, heißt es weiter, nämlich mit Texten, Podcasts, Videos, Veranstaltungen und Social-Media-Beiträgen. Das alles „themenzentriert statt tagesaktuell“ mit wöchentlich „drei bis vier gründlich recherchierte[n] Geschichten und Kolumnen“. Dazu noch ein Veranstaltungskalender und Medienbildung an Schulen und Uni. Und ungeachtet der vielen ernsten Themen sollte Karla obendrein noch Spaß machen.
Eigentlich ein tolles Konzept. An dem nur auszusetzen ist, dass es sich zwar für ein personal- und finanzstarkes Medienhaus eignen mag, Karla jedoch diesen Anspruch mit den dafür dann doch zu wenigen Mitarbeiter:innen und Mitteln niemals hätte erfüllen können.
Kreuzbrave Beiträge
Produziert wurden dann vor allem Textbeiträge. Zuallererst ein kreuzbraves Interview mit dem Konstanzer Stadtoberhaupt Uli Burchardt (der sich dann später mit einer kleinlichen Gabe im Promillebereich seines monatlichen Grundgehalts in der Karla-Spenderliste aufführen ließ). Hatte Lünstroth, noch zu seiner Zeit als Südkurier-Redakteur, nicht dereinst den OB im Kampf um den Erhalt des Scala-Kinos der kulturpolitischen Ignoranz und der Realitätsferne bezichtigt und war dafür mit einem Schreibverbot abgestraft worden? Lang ist’s her.
Karlas Themenschwerpunkte jenseits von Kommunalpolitik, Klima- und Energiekrise waren dann oft nah an der Lebenswelt der etwa 30- bis 40jährigen Karla-Macher:innen und ihrer vermutlich gleichaltrigen Community, nämlich Schule und Kinderbetreuung. Andere, wie „30 Jahre Imperia“, waren gänzlich überflüssig. Und: Das allermeiste hätte so auch im Südkurier stehen können.
So besser nicht!
Man wolle die Stadtgesellschaft besser machen, sagt Karla. Heißt das, den Mächtigen auf die Finger schauen? Sachverhalte kritisch hinterfragen? Der Wahrheit auf den Grund gehen?
Nicht der Konflikt stehe im Fokus, so Karla, sondern „konstruktiver Journalismus“, der Lösungswege aufzeige. Doch auch bei den Lösungsvorschlägen drückte sich Karla oft um einen klaren Standpunkt, sondern mäanderte wie mancher Schulaufsatz hin und her zwischen Für und Wider, ohne die Argumente am Ende in ein Urteil münden zu lassen.
Lieferte Karla, wie Lünstroth behauptet, eine Berichterstattung jenseits von Ideologien? Mal abgesehen von der Frage, ob Journalismus ohne politische Grundhaltung überhaupt möglich, geschweige denn wünschenswert ist – insgesamt bediente das Magazin weitgehend affirmativ eine grünliberale bürgerliche Mitte. Und entfernte sich mit seinen Inhalten ungeachtet der moderneren Verpackung nicht allzu weit vom Platzhirsch, bei dem die Karla-Redakteur:innen ja ihr Handwerk gelernt hatten.
Hinter der Bezahlschranke in der eigenen Blase
Bleibt noch die Bezahlschranke. Träger von Karla war eine gemeinnützige GmbH. Die Gemeinnützigkeit braucht’s, um Fördergelder von den Stiftungen und steuerbegünstigte Spenden zu bekommen. Die Gemeinnützigkeit verbietet jedoch den Verkauf von Bannerwerbung. Da lag es nahe, wenigstens Abos zu verkaufen – das ist erlaubt; außerdem: „was nichts kostet, ist nichts wert“ (so schon der Radikaldemokrat Johannes Scherr 1848 im württembergischen Landtag).
Die meisten Internetnutzer:innen sehen das aber anders. Sie sind Gratisangebote gewohnt. Auch deshalb erreichte Karla vielleicht gerade mal zwei Prozent der erwachsenen Konstanzer:innen. Gerade in Zeiten des Zerfalls der Öffentlichkeit in unzählige Filterblasen ohne gemeinsame Bezugspunkte sollten Medien jedoch möglichst niederschwellig zugänglich sein, um vielleicht ab und zu mit einem Thema auch Menschen außerhalb der eigenen Community zu erreichen.
seemoz und Karla
Besonders auswärtige Medienprofis fragten seemoz oft: „Ihr macht wie Karla doch in der gleichen Stadt Non-Profit-Journalismus. Warum kooperiert ihr nicht miteinander?“ Das hätten wir uns anfangs auch gut vorstellen können. Jedoch wurde unsere zu Karla ausgestreckte Hand dort schlicht ignoriert.
Lag es an persönlichen Animositäten der jeweiligen Alphatiere, wie ich zunächst vermutete? Eher nicht. Vielmehr waren die publizistischen Konzepte einfach zu unterschiedlich. Non-Profit-Journalismus allein ist kein Allheilmittel gegen den Bedeutungsverlust der etablierten Medien, die als Mittler und Kontrollinstanz der Lokalpolitik zunehmend ausscheiden. Dazu braucht’s auch eine kritische Grundhaltung, die den Mächtigen auf die Finger schaut und den Konflikt nicht scheut.
Text: Ralph-Raymond Braun / Foto: Karla-Eigenwerbung – karla-magazin.de
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