Zwei Tage nach der Kundgebung „Konstanz zeigt Gesicht“ gegen Antisemitismus und Rassismus versammelten sich am Dienstagabend rund 150 Menschen auf dem Münsterplatz. Eingeladen vom Aktionsbündnis „Rettet Gaza“, trauerten sie um die vielen Opfer auf beiden Seiten. Und forderten einen sofortigen und andauernden Waffenstillstand.
Es war kalt und es war dunkel. Und doch fanden am Dienstag überraschend viele Menschen den Weg zum Münster – darunter auch Dutzende, die bereits zwei Tage zuvor hier gestanden hatten und die Plädoyers von Robert Ogman, Gabriel Albilia, Avraham Yitzchack Radbil, David Tchakoura, Karin Becker, Anselm Venedey für Frieden hörten. Auch diesmal kamen alle, um den vielen Opfern zu gedenken, die in den letzten Monaten und Wochen beidseits des Grenzzauns um den Gazastreifen getötet wurden – und um zu fordern: „Ceasefire Now!“
Mit dem Appell zu einem sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand in Gaza stehen sie nicht allein da. Das hob Vincent Trötschel – einer der Organisator:innen – in seiner Einleitungsrede hervor: Schon vor zwei Monaten hätten Tausende jüdische Menschen in Washington für einen Waffenstillstand demonstriert. „Vierhundert von ihnen, darunter 25 Rabbiner, begaben sich im Kapitol in einen Sitzstreik und riefen ‚Waffenstillstand jetzt!‘ und ‚Lasst Gaza leben!‘“, so Trötschel. Sie seien somit demselben Motto gefolgt, „unter dem wir uns heute hier versammeln. Wir wünschen uns, dass diese Forderungen endlich auch in unserer Zivilgesellschaft verstanden werden. Es ist der Krieg, der spaltet, nicht der Waffenstillstand.“
Hungersnot als Waffe
Allerdings sparte Trötschel auch nicht mit Kritik an der israelischen Regierung. „Gerade einmal eine Woche ist es her, dass 153 Länder der Welt in einer UN-Resolution einen sofortigen Waffenstillstand forderten sowie die Freilassung aller Geiseln und eine Öffnung der Grenze für Hilfsgüter“. Laut UN-Angaben habe „Israels Weigerung, dies zu tun, die humanitäre Versorgung im besetzen Gaza an den Rand des Kollapses gebracht, Oxfam und Human Rights Watch werfen Israel das Kriegsverbrechen vor, Hungersnot gezielt als Waffe einzusetzen.“
Das sieht auch Manuel Oestringer so, der die Mahnwache mitorganisiert hatte – und kritisiert die Bundesregierung: „Als Reaktion auf die 1200 Toten in Israel, sind in den vergangenen Monaten rund 20.000 Menschen im israelischen Bombenhagel zu Tode gekommen, davon 70 Prozent Frauen und Kinder“. Das sei eine abscheulich hohe Zahl, die in den nächsten Wochen wahrscheinlich stark in die Höhe schnellen werde. „Gaza ist eine vermeidbare humanitäre Katastrophe“, so Oestringer, „die von der Bundesregierung durch Waffenlieferungen und ihre Ablehnung eines Waffenstillstands weiter angeheizt wird.“
Eindrücklich war die Lesung von Ismail Shoukry, der einen Text der palästinensisch-amerikanischen Anwältin Lara Elborno vortrug, die unter dem Titel „Jeder Tag ist der schlimmste“ den Horror der vergangenen Monate so beschrieb: „Der Tag, an dem sie das Al-Shifa-Krankenhaus belagerten und umzingelten, die Entbindungsstation und die Außenklinik bombardierten, war der schlimmste Tag. Der Tag, an dem ich las, dass der Direktor des Krankenhauses die Welt um Hilfe bat, weil die Menschen vor Durst schrien, war der schlimmste Tag …“ (der Wortlaut der Rede findet sich hier).
„Besingt Liebe, nicht Siege“
Mit seiner Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand schließt sich das Konstanzer Aktionsbündnis dem Verlangen zahlreicher Friedensinitiativen und Menschenrechtsorganisationen an, darunter auch den US-amerikanischen Jewish Voices for Peace. Oder der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, die in einer Stellungnahme von „Bombardierungen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß“ sprach.
In dieselbe Richtung argumentierte auch die iranische Friedensaktivistin Huria AM, die bereits vor anderthalb Monaten auf einer Veranstaltung von Amnesty International zum neuen Nahostkrieg gesprochen hatte und sich ausdrücklich von der Hamas distanzierte.
Das sinnlose Töten müsse sofort beendet werden, darin waren sich alle Anwesenden einig. Ohne Frieden und ohne ein Ende der Unterdrückung könne keine gemeinsame Zukunft gebaut werden. Diese Botschaft kommt auch in dem Lied zum Ausdruck, mit dem die Veranstaltung eröffnet wurde. „Shir LaShalom“ heißt die inoffizielle Hymne der israelischen Friedensbewegung, die von der Unwiederbringlichkeit verlorenen Lebens handelt und betont: „Besingt Liebe, nicht Siege“.
Dieses Lied war auch dem früheren israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin wichtig gewesen; daran erinnerte Vincent Trötschel in seiner Rede. Rabin, der Anfang der 1990er Jahre die Friedensverhandlungen mit Palästinenser:innen vorantrieb wie kaum ein anderer Politiker, hatte den Text in seiner Manteltasche, als er 1995 nach einer Friedenskundgebung von einem religiös-fanatischen Rechtsnationalisten erschossen wurde.
Auch wenn sie in Nuancen differierten: Angesichts der gemeinsamen Stoßrichtung – für Frieden und Ausgleich, gegen Rassismus und Ausgrenzung – hätten die beiden Kundgebungen (die am Sonntagnachmittag und die am Dienstagabend) auch zusammen stattfinden können. Vielleicht reden die Veranstalter:innen ja mal miteinander.
Text: Pit Wuhrer/MM / Fotos: Alba Chaya
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