Eiszeit-Fund aus dem Lonetal © M. Schreiner (ALM)

Künstler*innen mit klammen Fingern

Eiszeit-Fund aus dem Lonetal © M. Schreiner (ALM)
Eiszeit-Fund aus dem Lonetal © M. Schreiner (ALM)

Das Archäologische Landesmuseum zeigt „Meisterwerke der Eiszeit – die ältesten Tierskulpturen der Menschheit“. Die im Rahmen einer Sonderpräsentation gezeigten rund 40.000 Jahre alten Figuren eines Mammuts und eines Höhlenlöwen gelten als Objekte von Weltrang, die nicht nur von der Beobachtungsgabe, sondern auch von der Kunstfertigkeit von Menschen weit vor unserer Zeit zeugen.

Sprechen wir heute mal nicht wie sonst von mir, sondern von Ihnen.

Wussten Sie eigentlich, dass ich als Kind in meiner Heimatstadt gern in ein bestimmtes Museum ging – natürlich nicht wegen der Altarschnitzereien aus dem Mittelalter oder der drögen pseudoerotischen Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, sondern wegen der Dioramen. Das waren Schaukästen von der Größe eines ausgewachsenen Terrariums, die Geschichte anschaulich machen sollten, aber vermutlich eher der blühenden Fantasie ihrer Schöpfer entsprungen waren.

In meinem Lieblingsdiorama wohnten zottelige Menschen in einer Höhle und versuchten verzweifelt, sich eines überdimensionalen Höhlenbären zu erwehren, der auf seinen Hintertatzen stand und bereits über und über mit Wunden bedeckt war, in denen Speere steckten, aus denen er ganz erheblich blutete. Das war Geschichte, wie ich sie als Kind liebte, blutrünstig, gewalttätig und leicht fasslich: Irgendwie war das wie Klassenkeile auf dem Schulhof oder der Lateinunterricht, wo zu viele haarige Vokabeln Woche für Woche wieder des Schülers Tod waren.

Dieser Anblick war fast so großartig wie die viel später entstandene Moorleiche ein paar Räume weiter, die – zugegeben – arg schrumpelig aussah. Aber die Idee, dass man jemanden im Moor versenkt hatte (bei lebendigem Leibe, stellte ich mir vor), brachte mich Knaben auf großartige Ideen, wie ich meinen lästigen Vater am besten verschwinden lassen könnte. Das klappte am Ende leider doch nicht, denn auf meinen Vorschlag, „wenn Du nachts mitten durchs Moor gehst, will ich auch immer fleißig lernen und der Klassenbeste in Latein werden“, fiel mein Vater nicht herein. Er zweifelte (zurecht) an meinem Ehrgeiz und setzte zum Erreichen des in seinen Augen allerhöchsten Zieles, seinen Sohn endlich als Klassenbesten zu sehen, auf plumpe körperliche Gewalt.

Was ich Ihnen damit sagen will: Ein Museumsbesuch kann das kindliche Gemüt des Knaben formen und gibt ihm eine erste Vorstellung von Kunstempfinden und Daseinskampf.

Ausstellungstücke von Weltrang

Nicht ganz in diese Kategorie von allertiefsten Museumserfahrungen fällt die derzeitige Sonderpräsentation eiszeitlicher Kunst im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz, denn sie ist eher ehrfurchtgebietend als für die Heranbildung des kindlichen Gemütes zum erfolgreichen Vatermörder geeignet.

Hier werden vielmehr zwei eiszeitliche Kunstwerke vorgestellt, deren pures Alter sie für das Konstanzer Museum so wertvoll macht. Das Museum schreibt dazu: „Als während der letzten Eiszeit vor 43.000 Jahren der moderne Mensch Europa besiedelte, wurden auch die Höhlen der Schwäbischen Alb von ihm genutzt. Im Schutz der Höhlen überdauerten die Kulturschichten die Jahrtausende, so dass sich hier die ältesten mobilen Kunstwerke der Welt erhalten konnten und in einzigartiger Weise die Kultur des homo sapiens dokumentieren. Ihre Bedeutung ist für das Verständnis der Menschheitsgeschichte und die Entwicklung der Künste weltweit herausragend. Aufsehenerregende Zeugnisse dieser Kultur sind geschnitzte Figuren, Schmuck und Musikinstrumente – mit die ältesten ihrer Art weltweit.

Die Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb wurden 2017 von der UNESCO in die Welterbeliste aufgenommen. Bislang wurden dort über 50 figürliche Kunstobjekte aus Mammutelfenbein und acht Flöten aus demselben Material bzw. aus Vogelknochen gefunden. Die Mehrheit dieser Kunstobjekte bildet die Tierwelt der eiszeitlichen Landschaft ab und zeigt Tiere wie Mammut, Wisent, Pferd, Höhlenlöwe oder Höhlenbär, aber auch kleinere Tiere wie Igel oder Fisch.

Die in der Vogelherdhöhle im Lonetal gefundenen Skulpturen eines Mammuts und eines Höhlenlöwen, die vor rund 40.000 Jahren aus Mammutelfenbein geschnitzt wurden, sind Objekte von Weltrang und zählen international zu den bedeutendsten Funden der Altsteinzeit.

Als zentrale Institution für die Vermittlung der Landesarchäologie freut sich das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg, seinen Besucherinnen und Besuchern die beiden Skulpturen im Rahmen einer Sonderpräsentation zeigen zu können.“

Es hat gedauert

Ebenso spannend wie die beiden gezeigten Schnitzereien ist übrigens deren Entdeckungsgeschichte, die das Lonetal mit seinen Höhlen zu einem international beachteten Fundort der baden-württembergischen Vorgeschichte gemacht hat. Anfang der 1930er Jahre grub hier der Tübinger Prähistoriker Gustav Riek mit aus heutiger Sicht ziemlich rustikalen Methoden, denn er ließ im Hauruck-Verfahren bergeweise vermeintlichen Abraum aus der Höhle entfernen und im Freien ausschütten. Wenige Jahre später war der überzeugte Nazi dann für die SS in einem Sonderlager an Morden beteiligt, falls mensch den Informationen in Wikipedia Glauben schenken will. Trotzdem endete seine Karriere in bester deutscher Gelehrtentradition 1967 als geachteter Ordinarius der Universität Tübingen.

Überraschend, wie eng die Frühgeschichte doch mit der neuzeitlichen Geschichte verwoben sein kann …

Zurück zum Thema: Dieser Abraum der älteren, nach heutigem Verständnis scheint’s recht grobschlächtigen Grabungen wurde viel später mit modernen Methoden sorgfältig untersucht, geradezu durchgesiebt, und dabei wurden Objekte gefunden, die die erstaunliche Kunstfertigkeit unserer Vorfahren belegen: Tierskulpturen ebenso wie Flöten.

Wenn unser zotteliger Vorfahr also den Höhlenbären erlegt oder vertrieben hatte, gab er sich nicht anders als wir Nachgeborenen nach getaner Arbeit seinen kulturellen Interessen hin. Und da es noch kein Internet gab und der Handyempfang in Höhlen schlecht war, schnitzte er halt notgedrungen  ob aus Langeweile, um seine Frau damit zu behängen oder aus religiösem Antrieb, das alles wissen wir nicht  – mit von den eiszeitlichen Temperaturen klammen Fingern bewundernswerte Objekte aus Elfenbein, während rechts und links von ihm die Gletscher von der Schwäbischen Alb nur so herunterschurrten.

Was lernen wir daraus? Eigentlich nichts, denn aus unerfindlichen Gründen ist gerade seit ein paar Jahrtausenden kein Mammut-Elfenbein für Skulpturenschnitzer*innen mehr auf dem Markt, da müssen wir halt mit den anderen Freizeitangeboten vorlieb nehmen.

Welch Rückschritt!

Weitere Informationen

Das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg ist mit seinem Hauptsitz in Konstanz, dem Zentralen Fundarchiv in Rastatt und sieben Zweigmuseen in Aalen, Bad Buchau, Blaubeuren, Oberriexingen, Osterburken, Rottweil und Walheim die zentrale Institution für die Vermittlung der Landesarchäologie und für die Archivierung der archäologischen Zeugnisse aus einer der wichtigsten Fundregionen Europas. Anhand von Funden, Modellen und Rekonstruktionen werden auf anschauliche Weise auch die Methoden und Ergebnisse moderner archäologischer Forschung vorgestellt. Der Bogen spannt sich dabei von den Pfahlbauten des 4. Jahrtausends v. Chr. an den Voralpenseen bis zur Mittelalterarchäologie in den alten Städten des Landes.

Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Benediktinerplatz 5, 78467 Konstanz
Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Feiertage 10 bis 17 Uhr, Montag geschlossen.

www.alm-konstanz.de/

Text: Harald Borges unter Verwendung einer Medienmitteilung, Bild: Archäologisches Landesmuseum Konstanz

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