Niemand denkt gern an den Tod, zumal nicht an den eigenen, auch wenn er unausweichlich ist. Wenn es dann so weit ist, bietet der Hospizverein seine letzte Hilfe an, für Schwerkranke, Sterbende und deren Umfeld. Zum 30-jährigen Jubiläum des Vereins ein Gespräch mit den Vorständen Petra Hinderer und Simon Diefenbach über Gegenwart und Zukunft der Konstanzer Hospizbewegung.
Teil 1 von 3 [Teil 2 finden Sie hier, Teil 3 hier]
seemoz: Als ich in den achtziger Jahren im Krankenhaus lag, durfte ich irgendwann, als der Gips weg war, ins Bad. Dort war die Badewanne aber voller Köttel. Man sagte mir, die sollte ich einfach wegspülen, das sei die letzte Hinterlassenschaft eines gerade Gestorbenen, den man zum Schluss da hineingelegt hatte. Bis dahin glaubte ich, dass man im Bett stirbt, aber doch nicht allein in der Badewanne. Das hat mich damals schockiert.
Hinderer: Ähnliches habe ich damals zu Beginn meiner Zeit als Pflegehilfe auch noch erleben müssen. Das ist heute zum Glück nicht mehr denkbar.
seemoz: Als dann zehn Jahre später meine Mutter im Sterben lag, hieß es im Krankenhaus plötzlich, sie sei jetzt austherapiert und könne deshalb nicht länger dableiben, denn das bezahle die Krankenkasse nicht. Ich solle selbst sehen, wohin mit ihr. In der Stadt gab es ein Hospiz, das mich damals angenehm überrascht hat, denn ich hatte an eine trostlose Sterbeklinik gedacht. Dort herrschte aber eine sehr menschliche, nahezu geborgene Atmosphäre, und die Räume waren, so makaber sich das anhören mag, lebenswert eingerichtet.
Hinderer: Du denkst – wie viele andere Menschen auch – bei einem Hospiz zuerst einmal an eine Art Sterbehaus mit festen Räumlichkeiten, wie es das auch tatsächlich in etlichen Städten gibt, für unseren Landkreis in Singen. Wir in Konstanz sind aber von Anfang an einen anderen Weg gegangen.
Vor 30 Jahren haben Heinrich Everke und Ewald Weisschedel zusammen mit etwa einem Dutzend anderer Mitglieder den Hospizverein gegründet. Die Idee der Hospizbewegung war es ja, das Sterben in der Öffentlichkeit endlich als einen ganz normalen Teil des Lebens zu etablieren. Das sollte eben nicht in Sterbehäusern passieren, in die man die Sterbenden verbringt. Es sollte vielmehr eine „Wagenburg“ aus vielen verschiedenen Menschen gebildet werden, die Sterbende und ihre Angehörigen am Lebensende unterstützen.
seemoz: Die Hospize wurden also nicht von der Politik initiiert?
Diefenbach: Überhaupt nicht! Es gab zuerst Initiativen und Vereine, die Ehrenamtliche qualifiziert haben, die bereit sind, sterbenden Menschen, wo sie auch sein mögen, ein wenig Zeit zu schenken. Mitte der achtziger Jahre entstand aber auch das erste stationäre Hospiz in Deutschland.
Hinderer: In den ersten Jahren haben viele Menschen, die zu uns kamen, gedacht, sie finden hier depressive Nonnen oder etwas in der Art. Damals haben sich manche Menschen gewundert, dass wir überhaupt Fenster haben, denen mussten wir erst erklären, dass wir keine Pathologie sind.
Deshalb haben wir ja auch schon um 1998 herum mit der Veranstaltung „Jazz Downtown“ begonnen, die 23 Jahre lang lief, bis die Pandemie sie gekillt hat. Auch dank solcher Veranstaltungen haben wir mittlerweile einen guten Bekanntheitsgrad, und mittlerweile ist auch das gesamte Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen, es gibt fast jeden Tag einen neuen Film oder ein neues Buch dazu.
seemoz: Das heißt, der Konstanzer Hospizverein leistet ambulante Hospizarbeit?
Hinderer: Ja, wir gehen zu den Schwerkranken und Sterbenden hin, wo auch immer sie sind, vor allem zu ihnen nach Hause. Für Angehörige und Freunde ist die heimische Pflege eine anstrengende Aufgabe, oft brauchen sie jemanden, der die Betreuung in der Nacht übernimmt oder ihnen tagsüber mal für ein paar Stunden den Rücken freihält, damit sie mal rauskommen.
Wir gehen auch in Pflegeheime, dort ist die Situation oft schwierig, weil es trotz zugewandtem Pflege- und Betreuungspersonal immer noch den sozialen Tod gibt. Die Verwandten wohnen weit weg, die Freunde sind mittlerweile gestorben. Viele ältere Menschen sind in dieser Situation auch untereinander nicht mehr sozial aktiv oder durch eine Demenz sozial beeinträchtigt.
seemoz: Wo sterben die Menschen eigentlich?
Hinderer: Weiterhin stirbt etwa die Hälfte der Menschen in der Klinik. Dort werden wir geholt, wenn es um die letzten Stunden geht, weil die Pflegekräfte keine Zeit haben, sich ans Bett zu setzen. Mit der Einführung der Fallpauschalen wurde festgelegt, wie viele Tage Du ins Krankenhaus kommst, wenn Du Dir den Oberschenkelhals brichst. Das ist für das Sterben aber kaum sinnvoll auszurechnen.
Wir waren aber auch schon im Gefängnis und im Obdachlosenheim. Wir sind überall, wo Menschen leben, denn irgendwann geht ihr Leben zu Ende. Da zu sein und zu begleiten, das ist unser Auftrag.
seemoz: Hat sich das Sterben in den letzten Jahrzehnten verändert?
Hinderer: Stark sogar. Die Medizin, vor allem die Palliativmedizin, haben sich derart entwickelt, dass man die Symptome selbst bei Menschen mit einer tödlichen Diagnose so lindern kann, dass diese Menschen noch sehr lange relativ fit sind. Deshalb haben wir 2019 auch unsere Apartments eröffnet, in denen Menschen mit tödlicher Diagnose selbstbestimmt und mindestens anfangs noch selbständig, aber mitten in der Gesellschaft am Leben und an Gemeinschaft teilhaben.
Jeder Mensch, und das macht unsere Arbeit so spannend, hat ein anderes Netzwerk um sich herum, hat seinen eigenen Familien- und Freundeskreis, seine eigenen Ärzte usw. Wir spinnen mit an einem tragfähigen Netzwerk, das möglichst genau zu ihm passt. Da gibt es etwa Menschen, die Hunde haben, dann müssen wir eben auch schauen, was wir damit machen.
seemoz: So manche Angehörigen enttäuscht es sicher, dass Ihr ihnen als ambulanter Dienst die Sterbenden nicht abnehmt …
Hinderer: Das hast Du gesagt. Wir erfahren aber auch immer wieder, wie dankbar Hinterbliebene sind, wenn sie es mit Unterstützung geschafft haben, den Wunsch ihrer Verstorbenen zu erfüllen, in vertrauter Umgebung sterben zu dürfen. Das bestärkt uns sehr. Wir wollten von Anfang an die Normalität des Sterbens im Leben betonen, gemäß der ursprünglichen Hospizidee. Wir haben deshalb mit Filmen, Vorträgen und Workshops gearbeitet. Anfangs hatten wir etwa ein Dutzend Besucher*innen, heute sind es manchmal über 100, da hat sich also einiges getan. Auch die Schlagzahl unserer Veranstaltungen hat sich erheblich erhöht. Wir sind mittlerweile zu einer Anlauf- und Beratungsstelle geworden. Letztes Jahr haben sich bei uns über 300 Menschen telefonisch oder persönlich gemeldet, weil der Opa krank ist, das Kind Krebs hat, die Trauer so belastend ist oder aus vielen anderen Gründen. In Corona-Zeiten war das ganze Haus voll Betroffener, die unheimlich gelitten haben, weil sie ihre sterbenden Angehörigen nicht mehr sehen durften. Das war brutal.
seemoz: Eure Arbeit geht also über die direkte Betreuung Schwerkranker und Sterbender hinaus?
Diefenbach: Natürlich. Ein Schwerpunkt sind die Angehörigen, als Betreuende wie auch als Trauernde. Wir geben ihnen Hilfe zur letzten Hilfe. Wenn jemand zu Hause stirbt, muss man die Menschen, die sich um sie kümmern wollen, unterstützen, anleiten und stärken. Denen musst Du Freizeit ermöglichen, denen musst Du ermöglichen, dass sie auch einmal eine Nacht durchschlafen können, sonst halten sie das nicht aus. Wir arbeiten eng mit anderen Akteuren wie der Brückenpflege, Pflegediensten oder Ärzten zusammen und sind oft die letzten, die dazukommen.
Zur Website des Hospizvereins geht es hier.
Text: Harald Borges, Bilder: Hospizverein Konstanz e.V.
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