Wollheim Bearbeitet (c) Rosgartenmuseum

Heiner Wollheim: Kammermusiker und Fluchthelfer

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Heiner Wollheim © Rosgartenmuseum

In „Konstanz literarisch“ ist Manfred Bosch der kulturellen Tradition der Stadt über fünf Jahrhunderte hinweg nachgegangen. seemoz porträtiert in lockerer Folge einige der dort vorgestellten Personen. Im Vordergrund stehen freiheitliche, demokratische und antifaschistische Traditionslinien im 19. und 20. Jahrhundert. Nachfolgend wird an den Kammermusiker Heiner Wollheim erinnert.

In der Schottenstraße 7 verbrachte der Kammermusiker Heiner Wollheim (1892–1974) mit seiner Frau die letzten Jahre. Der Sohn eines Singener Arztes, der in Konstanz das Gymnasium besucht hatte, begann gegen den Willen der Mutter 1912 ein Musikstudium in Hamburg, bevor er sich 1915 an der Königlichen akademischen Hochschule für Musik in Berlin einschrieb. 1923 – im Jahr seiner Heirat mit der Kunstwissenschaftlerin Dr. Elsa Kutschke, die Sekretärin der Marées-Gesellschaft war – trat der Bratschist und Geiger eine Stelle als Kammermusiker an der Berliner Staatsoper an, die er dank Sondergenehmigungen bis 1938 behaupten konnte. Zwar hatte sich seine Situation bereits 1933 zugespitzt, doch seine „Frontkämpfereigenschaft“ bewahrte ihn zunächst vor einer Kündigung. Bereits im Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kursierte eine Liste der NS-Betriebszellenorganisation, auf der Wollheim als „Halbjude“ denunziert wurde.

Ausschluss aus der Reichskammer

1935 erhielt Heiner Wollheim mit dem Ausschluss aus der Reichsmusikkammer faktisch Berufsverbot, doch konnte er dank mehrerer, immer neu befristeter Sondergenehmigungen seine Weiterbeschäftigung erreichen. So war es ihm neben seiner festen Tätigkeit an der Staatsoper möglich, Anfang Februar 1936 mit dem Kammerorchester Edwin Fischer in den Niederlanden aufzutreten und als Kopist für den Dirigenten Wilhelm Furtwängler tätig zu sein. Im März 1939 war ihm dann endgültig jegliche berufliche Tätigkeit untersagt.

Fluchthelfer auf der Höri

Im November 1939 verzog das Paar, das über eine bedeutende kunsthistorische Sammlung verfügte, nach Kattenhorn. Heiner Wollheim unterrichtete weiterhin illegal und richtete Noten ein; darüber hinaus stellte er sich für den freiwilligen Landdienst zur Verfügung. Vor allem aber betätigte er sich mit seiner Frau als Fluchthelfer, manche Flüchtlinge brachten sie auch bei sich unter. Zu ihrem Helferkreis gehörten der Arzt Nathan Wolf, der aus Wangen ins nahe Stein am Rhein geflohen war, und der ehemalige Düsseldorfer Akademiedirektor Walter Kaesbach mit seiner Lebensgefährtin Paula Hess. „Im Januar des strengen Winters 1942, in dem der Untersee vollständig zufror, brachten sie gefährdete Jüdinnen und Juden über den See in die Schweiz“, heißt es in einer Dokumentation. „Elsa nähte für ihren Mann und die Flüchtlinge weiße Winterkleidung, die sie Schneekleidung nannten. Damit fielen sie im Schnee weniger auf. Im Sommer wurden die Flüchtlinge in Kähnen bis zum Schweizer Ufer gerudert. Paula Hess berichtet dazu, dass sie während einzelner Rettungsaktionen auch Strandfeste mit Künstlern veranstaltete, deren Treiben und Lärm die Aufmerksamkeit der Grenzwachen von den Kähnen ablenken sollten.“(1)

KZ-Haft in Dachau

Ende April 1943 scheiterte die Flucht eines jüdischen Ehepaares, sodass die Gestapo durch Denunziation auf Wollheim aufmerksam wurde, ihn verhaftete und im Konstanzer Gefängnis in Untersuchungshaft nahm. Von hier wurde er Mitte Juli 1943 ins Konzentrationslager Dachau überstellt. Dass er überlebte, hatte er der Fürsprache Wilhelm Furtwänglers zu verdanken: Dieser erwirkte eine Erlaubnis Heinrich Himmlers, dass Wollheim – sogar in einem eigenen Raum – wiederum Abschriften von Partituren und Notenmanuskripten fertigen durfte, die angeblich nur er lesen konnte.

Nach 1945

Nach der Befreiung des KZ Dachau am 29. April 1945 verblieb Heiner Wollheim noch bis Ende Mai in Quarantäne; dann zog er zurück nach Kattenhorn. Im Juli 1947 betätigte er sich wieder an ersten Konzertveranstaltungen wie der Schubert-Woche in Konstanz und dem Bamberger Bachfest. 1949 übersiedelte das Paar nach Konstanz. Seine bedeutende Sammlung von 450 Zizenhauser Terrakotten vermachte Wollheim dem Fasnachtsmuseum Langenstein als Schenkung. Nach dem Tod seiner Frau 1971 zog Wollheim in ein Altenheim, wo er Ende 1974 im Alter von 82 Jahren starb.

Anmerkung

1) Beate Kosmala, Revital Ludewig-Kedmi, Verbotene Hilfe. Deutsche Retterinnen und Retter während des Holocausts. Zürich 2003, S. 70.

Text: Manfred Bosch

Die Serie wird fortgesetzt. Zuletzt erschienen die Porträts
Karl Hüetlin
Joseph Fickler
Ignaz Vanotti
Karl Zogelmann
Hans und Hermann Venedey
Friedrich Munding
Alice Berend
Erich Bloch
Fritz Picard

Weitere Informationen

Zum Autor

Manfred Bosch lebt als Schriftsteller, Literaturhistoriker und Herausgeber in Konstanz. Neben zahlreichen Darstellungen zur südwestdeutschen Zeit- und Literaturgeschichte widmet er sich in Darstellungen (u.a. Bohème am Bodensee. Leben am See von 1900 bis 1950, Lengwil 1997), Herausgaben und Anthologien der neueren Literaturgeschichte des Bodenseeraums.

Zum Buch

Manfred Bosch, Konstanz literarisch. Versuch einer Topografie, UVK Verlag 2019, 351 Seiten, €22,00.

Manfred Boschs literarischer Streifzug durch Konstanz vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ist nicht wie bei Darstellungen dieser Art üblich chronologisch oder nach sachbestimmten Aspekten angeordnet. Sein Stadtrundgang beginnt alphabetisch in der „Alfred Wachtel-Straße“ und endet „Zur Friedrichshöhe“. Er nimmt Straßen, Plätze und Gebäude in den Blick, erzählt welche LiteratInnen, PublizistInnen, VerlegerInnen, Kulturschaffende hier gelebt haben oder als Reisende – sei es als Gast oder auf dem Weg ins Exil – die Stadt passiert haben. Er beschreibt geschichtsträchtige Orte wie das ehemalige Dominikanerkloster (Inselhotel), den Kreuzlinger Zoll, die in den 1960er-Jahren gegründete Universität und bietet einen Überblick über Verlage, Bibliotheken, Lesegesellschaften, Theater und Pressewesen der Stadt. Über 600 Namen umfasst allein das Personenregister.

Erschienen ist das Buch in der von Jürgen Klöckler herausgegebenen „Kleinen Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz“.

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