
Von der Öffentlichkeit und wohl auch der Stadtspitze unbeachtet, hatte das Konstanzer Jugendamt kürzlich seinen 100. Geburtstag. Statt das Jubiläum zu feiern, muss sich das Amt der Frage stellen, ob Konstanz sich hier nicht einen Luxus leistet, den ebenso gut der Landkreis erledigen könnte. Und das noch mit geringeren Kosten für die Stadt.
Alle paar Jahre und immer dann, wenn die Haushaltslage der Stadt angespannt ist, kommt die Frage auf, ob die Abgabe des städtischen Jugendamtes an den Landkreis nicht einen großen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten könnte. So geschehen vor zwei Jahren in der Doppelstadt Villingen-Schwenningen, die ihren Haushalt damit um gut zwei Millionen Euro entlastete. Wäre das nicht auch etwas für Konstanz?
Normalerweise sind in Baden-Württemberg die Landkreise und kreisfreien Städte Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Während in anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, regelmäßig auch größere kreisangehörige Städte diese Aufgabe übernehmen, ist in Baden-Württemberg Konstanz die einzige Ausnahme. Zwar hat auch das mit 57.000 Einwohner:innen deutlich kleinere Baden-Baden ein eigenes Jugendamt. Doch Baden-Baden ist eben eine kreisfreie Stadt, die diesen Status mit viel Protest und Glück über die Gebietsreform der siebziger Jahre gerettet hat.
Eingerichtet wurde das städtische Jugendamt am 1. Januar 1925. Ausführungsbestimmungen zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RWJG) hatten die Stadt dazu verpflichtet. Auch als Konstanz den ihr von Nazis gewährten Status „kreisfrei“ im Jahr 1953 aufgab und wieder dem Landkreis beitrat, blieb das eigene Jugendamt erhalten.
Wenn’s daheim kracht
Das Jugendamt unterstützt Kinder, Jugendliche und Familien, angefangen von den frühen Hilfen bereits für werdende Eltern über die Kinder(tages)betreuung, die Familien- und Erziehungsberatung, die Jugendarbeit und die Schulsozialarbeit, bis hin zu den Hilfen zur Erziehung und zum Kinderschutz. Es hilft, wenn Eltern sich trennen wollen, dauerhaft Konflikte austragen oder es andere Probleme in der Familie gibt, die die Entwicklung des Kindes gefährden. Dann kommt eventuell auch über längere Zeit das Fachpersonal der ambulanten Erziehungshilfe regelmäßig direkt ins Haus.
Selbst wenn Träger der freien Jugendhilfe wie Caritas oder Arbeiterwohlfahrt die vorgenannten Leistungen erbringen und etwa eigene Kitas betreiben, tun sie das unter der Fachaufsicht des Jugendamts. Nicht den freien Träger überlassen kann das Jugendamt nur den hoheitlichen Kinderschutz. So kann es Kinder und Jugendliche zum Schutz vor Missbrauch, Vernachlässigung, Gewalt oder Ausbeutung vorübergehend in Obhut nehmen. Auch bei kindschaftsrechtlichen Verfahren vor dem Familiengericht ist das Jugendamt involviert.
Es geht um mehr als nur die Kosten
Kritiker:innen dieser Sonderlösung verwiesen darauf, dass die Stadt so mit Personalkosten belastet werde, die andernfalls der Kreis zu tragen hätte. seemoz hat angefragt, wie hoch denn diese Ersparnis bei der Übergabe des Jugendamts an den Landkreis ausfallen würde, wo doch bereits jetzt der Landkreis einen Teil der Personalkosten erstattet und die Stadt zudem über die Kreisumlage auch zu allen Mehrausgaben des Landkreises beisteuern müsste. Zur Antwort bekamen wir, dass eine Berechnung ohne umfangreiche, juristische und finanzwirtschaftliche Gutachten von externen Instituten nicht möglich sei. Und dazu den Hinweis: „Fatal wäre, eine entsprechend zu kurz gesetzte Zahl in den Raum zu stellen, wie am Beispiel Kosten des Personalbedarfes.“
Zugleich warnte die umfangreiche Stellungnahme der Stadt vor einer rein monetären Betrachtung, „da die Abgabe der Steuerung auch […] Auswirkungen auf die gesamte städtische soziale Infrastruktur hätte. […] Mit der Aufhebung der Rechtsstellung als Träger der öffentlichen Jugendhilfe würden die Rechte und Verantwortlichkeiten des städtischen Jugendhilfeausschusses an den Jugendhilfeausschuss des Landkreises übergehen. Der städtische Jugendhilfeausschuss in der derzeitigen Form als beschließendes Gremium würde aufgelöst werden. Der Gemeinderat würde die Kontroll- und Steuerungshoheit über wesentliche Teile seiner bisherigen Familien- und Jugendhilfepolitik in Konstanz aufgeben und in die Entscheidungshoheit des Jugendhilfeausschusses des Landkreises geben.“
Das Jugendamt als Standortfaktor?
Die Stellungnahme verweist weiter auf die im Vergleich zum Landkreis unterschiedlichen Problemlagen in der Stadt Konstanz. „Wichtige Teile der familienpolitischen, jugendpolitischen und (frühen) bildungspolitischen Ziele und Anliegen der Konstanzer Stadtgesellschaft würden vom Kreis-Jugendhilfeausschuss gesteuert [und] vom Kreisjugendamt in Radolfzell bestimmt und umgesetzt. Ziele und Anforderungen würden politisch und administrativ an die Landkreisverwaltung und den Kreistag übertragen.“
Eigene kommunale Jugendämter seien jedoch zentrale Säulen des Bildungssystems und damit auch Standortfaktoren, wenn es um die Bewältigung des Fachkräftemangels gehe. „Aktuell können wir als Stadt mit dem Sozial- und Jugendamt (SJA) agile, innovative und anpassungsfähige organische Prozesse gewährleisten“, heißt es in bestem Neusprech. „Diese ermöglichen es, die Konstanzer Familien in verschiedensten Lebenslagen schnell und wirksam zu unterstützen. Die Hoheit über die eigenen Leistungsprozesse hilft uns auch in Krisenzeiten, zuletzt beispielsweise ab dem Überfall Russlands auf die Ukraine.“
Viele freiwillige Leistungen
Weiter wird eingewandt, dass auch nach Abgabe der öffentlichen Jugendhilfe an den Landkreis besonders die freiwilligen, nicht vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Leistungen bei der Stadt verbleiben würden, die dann allerdings mit dem Kreis abgestimmt werden müssten. Genannt werden als Beispiele für diese präventiven Angebote die „Startpunkte frühe Hilfen“, also die Beratungsstellen für Schwangere und junge Eltern; das Beratungsangebot „Lenkrat“ für das Personal der Konstanzer Kitas; aber auch Zuschüsse und Zusammenarbeit mit den lokalen, nicht-staatlichen Trägern der Wohlfahrtspflege.
„Fakt ist“, so schließt die Stellungnahme, „dass bei einer Abgabe die Stadt Konstanz als größte Stadt in diesem Landkreis die Steuerungshoheit über familienpolitische und gesellschaftliche Entscheidungen abgeben würde.“ Uns hat das Plädoyer überzeugt und wir wünschen dem Jubilar noch ein langes Dasein als Behörde in der Obhut der Stadt.
Text: Ralph-Raymond Braun
Foto: Symbolbild Pixabay
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