Am Mittwochabend gibt es im Konzil eine Podiumsdiskussion unter dem bräsigen Titel „Zukunft der Orchester in Deutschland – Impulse für Konstanz“. Der Freundeskreis Philharmonie e.V. hat dazu eine illustre Runde geladen, die nicht zuletzt dadurch beeindruckt, wer alles nicht in ihr Platz nehmen darf.
Die deutsche „Orchesterlandschaft“, von Offiziellen aller Richtungen immer wieder als eine weltweit einmalige zivilisatorische Errungenschaft gefeiert, blutet aus. Nach dem „Mauerfall“ 1989 musste zuerst die klassische Musikszene der ehemaligen DDR dran glauben, und dann ging es irgendwann auch der Musik in den alten Bundesländern an den Kragen (siehe beispielsweise hier und vor allem hier).
Die Gelder für Kultur und Bildung werden seit der von den Konservativen vor Jahrzehnten ausgerufenen „geistig-moralischen Wende“ (deren kulturelle Duftmarke die Einführung eines im besten Falle hirnerweichenden Privatfernsehens war) immer heftiger zusammengestrichen, und auch in Konstanz sollen Theater und Südwestdeutsche Philharmonie mal wieder ganz erheblich sparen. Dass währenddessen jederzeit genug Geld da ist, um das unersättliche Schwarze Loch Bodenseeforum zu Tode zu füttern, sei als Pointe nur am Rande vermerkt, zeigt aber schon, wohin die Politik geht. Der Prototyp des Bürgerlichen ist schon lange nicht mehr der etwas betuliche, rückwärtsgewandte Bildungsbürger, sondern der weitgehend kulturferne oder offen kulturfeindliche Raffke, sprich: jener unerfreuliche Typ homo oeconomicus, der unentwegt und allerorten wirtschaftliche Chancen für sich und Einsparpotenziale bei den anderen wittert.
Angesichts dieser finsteren Aussichten für Klangkörper, Theater und die „freie“ (sprich chronisch unterfinanzierte) Kulturszene macht es natürlich Sinn, sich öffentlich Gedanken über die Zukunft „unserer“ Kulturinstitutionen zu machen.
Die Podiumsdiskussion
Hier die Einladung des Freundeskreises Philharmonie e.V.:
»Zum Saisonauftakt der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz lädt der Freundeskreis e.V. zu einer Podiumsdiskussion unter dem Motto „Zukunft der Orchester in Deutschland – Impulse für Konstanz“. Die Veranstaltung findet am Mittwoch, 13. September 2023 um 19 Uhr im Oberen Saal des Konzils statt (Einlass: 18:15 Uhr).
Vor dem Hintergrund der Diskussionen um Haushaltseinsparungen der Stadt wird der Gemeinderat auch über Zuschusskürzungen für die Philharmonie entscheiden, die nicht nur schmerzhafte Einschnitte bedeuten würden, sondern auch den Erhalt des Orchesters als Ganzes in Frage stellen.
Gleichzeitig kann das Orchester nicht die öffentliche Haushaltslage ignorieren. Diese Diskussionen betreffen nicht nur Konstanz, vielerorts wird über Kultureinrichtungen grundsätzlich diskutiert. Somit besteht auch die Notwendigkeit, sich als Orchester zu verändern und neu auszurichten. Eine stark eingeschränkte Philharmonie kann aber nicht wirksam das Leben unserer Stadt mitgestalten und ihren wichtigen Beitrag zum kulturellen Miteinander leisten.
Deshalb lädt der Verein zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion zu „Zukunft der Orchester in Deutschland – Impulse für Konstanz“ am 13. September ins Konzil ein.
Moderation: Susanne Benda (Musikjournalistin, langjährige Musikredakteurin der Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten)
Podium: Beat Fehlmann (Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Ludwigshafen), Marc Grandmontagne (ehem. Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins, heute Kulturberater und Herausgeber; digitale Teilnahme), Dr. Birgit Schneider-Bönninger (Sport- und Kulturdezernentin der Stadt Bonn; digitale Teilnahme), Kristin Thielemann (Musikerin, Fachbuchautorin und Pädagogin), Gabriel Venzago (Chefdirigent Südwestdeutsche Philharmonie).
Der Freundeskreis e.V. freut sich auf zahlreiche Besucherinnen und Besucher!«
Ein Blick in die Glaskugel
Für alle leidlich am Orchester interessierten Menschen ist der Abend ein Muss, verspricht er doch, den Nebel, der über der Zukunft der von öffentlicher Hand geförderten „Hoch“-Kultur liegt, ein wenig zu lüften.
Das Ergebnis des Podiumsgesprächs ist wohl ziemlich absehbar: Beruflich im Bereich Kultur tätige Fachmenschen werden sich gegenseitig versichern, dass die Kultur unerlässlich für das menschliche Leben sei und daher der Rotstift bei ihr nicht angesetzt werden dürfe, weil der ganze Mensch an sich sonst geistig-seelisch-moralisch-erbauungs- und bewusstseinsmäßig verkümmern werde. Und ganz gewiss wird die unterhaltsame Runde noch viele weitere Argumente dafür finden, warum ein Leben ganz ohne Orchester oder mit einem aus finanziellen Gründen erheblich eingeschränkten Orchesterbetrieb für den musikliebenden Teil des Publikums wie für den Fortgang der menschlichen Geschichte überhaupt verdammt unerquicklich sei.
Politik und Musik bleiben außen vor
Dass die Verteilung der öffentlichen Gelder – hie mit vollen Händen raus damit für die Wehr-Macht, für die Großindustrie oder eben das Bodenseeforum, dort weniger für das Bahnnetz, dieses oder jenes Orchester oder den Schwimmunterricht – eine politische Entscheidung war und ist, wird bei der Konzeption dieser Podiumsdiskussion scheint’s schlichtweg ausgeblendet. So wäre es unserem Oberbürgermeister Ulrich Burchardt oder dem für die Kultur zuständigen Bürgermeister Andreas Osner sicher ein Herzensanliegen und ob ihrer Überzeugungskraft zudem ein Leichtes gewesen, die Anwesenden für die geplanten Kürzungen zu begeistern oder zumindest deren Notwendigkeit sachkundig zu vermitteln. Aber diese Sparfüchse sitzen wohl nicht mit auf dem Podium (und vielleicht nicht einmal im Publikum).
Auch Musiker*innen sind bei dieser Diskussion scheint’s nicht gefragt, obwohl es gerade eines der Markenzeichen orchestraler Musik ist, dass sie von leibhaftigen Künstler*innen live gespielt wird. Für all diese Menschen (ebenso wie für die Angestellten im Orchesterbüro) ist das Orchester ganz handfest der Arbeitsplatz, der ihnen den kärglichen Lebensunterhalt sichert. Sie merken die Einsparungen Tag für Tag am deutlichsten, und schließlich sind die es, von denen bei Orchesterzusammenlegungen oder bei Lohnverzichtsrunden regelmäßig die größten Opfer verlangt werden.
Die Besetzung des Podiums ist also angesichts der Bedeutung des Themas recht einseitig geraten, so herzlich man etwa Beat Fehlmann wieder einmal begrüßen mag. Schade ist natürlich, dass hier die Philharmonie ihr eigenes Süppchen kocht, denn Orchester und Theater sitzen mehr oder weniger im selben Boot und haben sich derselben Jäger zu erwehren, da hätte ein Schulterschluss durch eine Einladung an Theaterintendantin Karin Becker nahegelegen.
Persona non irgendwas …
Dass die Bis-vor-Kurzem-Intendantin Insa Pijanka, die aus ihrer mehrjährigen Tätigkeit in Konstanz die Verhältnisse des hiesigen Orchesters am allerbesten kennen dürfte, nicht eingeladen wurde, überrascht da kaum noch: Bei ihrer ach so freiwilligen Ausreise aus Konstanz haben sich gewisse Politiker, Teile der Presse und der ein oder andere Strippenzieher derart mit Intrigantenruhm bekleckert, dass ihr das selbst die ach so harm-, arg- und zahnlosen Freunde und Freundinnen der Philharmonie niemals werden verzeihen dürfen, ohne sich den Zorn der Obrigkeit einzuhandeln.
Schließlich gilt auch in Konstanz noch immer: „Ich kann jedem alles verzeihen, außer dass ich ihm Unrecht getan habe.“
Text: Harald Borges, Bild: Südwestdeutsche Philharmonie
Termin: Mittwoch, 13. September 2023 um 19 Uhr, Oberer Saal des Konzils in Konstanz, Einlass ab 18:15 Uhr.
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